Dieses Mal haben wir Dr. Kerstin Hauke gebeten, über ihren Werdegang zu berichten. Kerstin ist seit einigen Jahren bei der Forschungsgemeinschaft Feuerfest e. V. mit Sitz in der „Kannenbäckerstadt“ Höhr-Grenzhausen im Westerwaldkreis tätig.
1. Wie bist Du zu Deinem Fachgebiet gekommen und was hat Dich motiviert, Dich darauf zu spezialisieren?
Mein Einstieg in die Geowissenschaften war eher zufällig, aber bald entdeckte ich meine Leidenschaft für die Mineralogie. Besonders das Fach „Technische Mineralogie“ hat mich begeistert, da es eindrucksvoll zeigt, wie wichtig mineralogisches Fachwissen für die Herstellung vieler Produkte ist, die den Alltag prägen. An der Universität Bonn wurde großer Wert darauf gelegt, uns mit einer Vielzahl von Analysemethoden vertraut zu machen und diese praktisch anzuwenden – ein Erfahrungsschatz, von dem ich bis heute profitiere. Mein Studium führte mich in die Pyrenäen, auf griechische Inseln und quer durch Tunesien – unvergessliche Erlebnisse, nicht nur aus fachlicher Hinsicht. Die Frage, wie ich theoretisches Wissen praktisch anwenden kann, treibt mich bis heute an.
In meiner Bachelorarbeit beim Verein Deutscher Zementwerke e. V. in Düsseldorf untersuchte ich, ob sich Branntkalk im Zement durch Tone ersetzen lässt, um die mit Branntkalk verbundenen CO₂-Emissionen zu verringern. Während meiner Master- und Doktorarbeit bei Prof. Dr. Thorsten Geisler-Wierwille entwickelte ich Hochtemperatur-Raman-Imaging als Methode, den Brennprozess von Silikatkeramiken bis 1.200 °C in situ zu analysieren. Diese Technologie erlaubt es, Mineralreaktionen im Mikrometerbereich zeitgleich räumlich, zeitlich und temperaturaufgelöst zu untersuchen, wodurch sie sich von allen gängigen Analysemethoden unterscheidet. Damals war mir das noch nicht klar, aber heute weiß ich, dass diese Möglichkeit Materialentwicklung auf ein neues Level heben kann.
Nach meiner Promotion verließ ich die akademische Welt und wechselte in die industrienahe Forschung. Ein wesentlicher Grund dafür war die Gründung meiner Familie, denn die Aussicht auf befristete Verträge und häufig wechselnde Arbeitsorte ließ sich für mich damit schwer vereinbaren. Zudem reizte es mich, praxisnäher zu arbeiten. Heute bin ich bei der Forschungsgemeinschaft Feuerfest e. V. tätig. Feuerfeste Werkstoffe sind keramische Materialien und essenziell für Produktionsprozesse, bei denen hohe Temperaturen benötigt werden, etwa in der Stahl-, Glas- oder Zementherstellung. Ich forsche an der Optimierung des Hochtemperatur-Raman-Imaging für die Feuerfestindustrie und arbeite daran, mehr Sekundärrohstoffe in feuerfesten Werkstoffen einzusetzen. So kann ich meine Leidenschaft für innovative Analysemethoden und nachhaltige Materialentwicklung miteinander verbinden.
2. Welche Herausforderungen begegnen Dir in Deinem Fachgebiet, und wie gehst Du damit um?
Die Feuerfestindustrie steht vor tiefgreifenden Transformationen – sowohl technisch als auch kulturell. Als energieintensive Branche, die stark auf Hochtemperaturprozesse angewiesen ist, strebt sie selbst klimaneutrale Produktionsverfahren an. Darüber hinaus ist die Bedeutung der Feuerfestindustrie für die Zukunft Europas als Industriestandort und damit für unseren Lebensstandard enorm: Ohne feuerfeste Werkstoffe gäbe es keinen Stahl, kein Glas, keinen Zement – und damit weder Autos noch Häuser oder Smartphones.
Die Herausforderungen bestehen darin, innovative feuerfeste Werkstoffe für alle diese Branchen zu entwickeln, die selbst ihre Produktionsprozesse umstellen müssen, um klimaneutral und energieeffizienter zu produzieren, langlebigere Werkstoffe herzustellen und Primärrohstoffe durch Sekundärrohstoffe zu ersetzen. Die Forschungsgemeinschaft Feuerfest e. V. unterstützt die europäische Feuerfestindustrie dadurch, dass sie innovative Analyseverfahren für Hochtemperatureigenschaften entwickelt, mit denen das Verhalten feuerfester Werkstoffe in situ beobachtet wird, und so Daten und Informationen gesammelt werden, mit denen bessere feuerfeste Werkstoffe produziert werden können.
Hinzu kommt der Fachkräftemangel, der viele traditionelle Industrien betrifft – auch unsere. Ein wichtiger Ansatz ist, mehr Frauen für die Feuerfestindustrie zu begeistern. Der Frauenanteil in der Branche liegt in Deutschland geschätzt bei nur 20 Prozent; in Führungspositionen ist er noch geringer. Um das zu ändern, habe ich zusammen mit Charlotte Linden und Tobias Steffen und mit der Unterstützung von Christian Dannert die Initiative Women@Refractories gegründet. Wir möchten Frauen in der Branche vernetzen, die Vorteile von Diversität sichtbar machen und die Feuerfestindustrie als attraktives Arbeitsfeld positionieren. Auf LinkedIn stellen wir Frauen aus unserer Branche vor, veranstalten (Online-)Seminare zu Themen wie der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und schaffen Bewusstsein für Diversitätsthemen.
Ein weiteres großes Thema ist die Sichtbarkeit – nicht nur für die Feuerfestindustrie, sondern auch für die Mineralogie und Kristallographie. In einer Welt, in der junge Menschen ihre Berufsbilder oft aus den sozialen Medien schöpfen, ist es unsere Verantwortung, die spannenden Möglichkeiten in unserem Fachgebiet sichtbar zu machen. Wir sollten die sozialen Medien aktiv nutzen, um junge Menschen für Berufe wie Mineralogin oder Kristallograph zu begeistern – und so die nächste Generation für unsere Disziplin zu gewinnen.
3. Welchen Rat würdest Du jungen Menschen geben, die sich für Dein Fachgebiet interessieren?
Mein erster Rat wäre, eine solide und möglichst breit gefächerte Ausbildung anzustreben. Dieses Fundament ermöglicht es, sich später flexibel in verschiedene Richtungen zu entwickeln, auch wenn man nach der Schule noch nicht genau weiß, was man später beruflich machen möchte.
Neben dem fachlichen Wissen spielen aber auch soziale Kompetenzen und ein gutes Netzwerk eine entscheidende Rolle. Ich würde jedem jungen Menschen empfehlen, sich frühzeitig ein Netzwerk aufzubauen – sei es durch Praktika, Ehrenämter oder die Mitarbeit in einer Fachschaft. Solche Erfahrungen eröffnen oft Türen, die man zu Beginn gar nicht im Blick hatte.
Ein weiterer Tipp ist, durch Praktika unterschiedliche Themengebiete kennenzulernen. Dabei wird oft klarer, welche Richtung einem wirklich Freude bereitet. Wenn möglich, sollte man zudem die Chance nutzen, ein Semester oder ein Praktikum im Ausland zu absolvieren. Das erweitert nicht nur den fachlichen Horizont, sondern stärkt auch persönliche Fähigkeiten wie Anpassungsfähigkeit und interkulturelle Kompetenz. Schließlich sind es oft die Nebenjobs, Projekte oder Netzwerke außerhalb der reinen Studieninhalte, die entscheidend für die berufliche Laufbahn sind.
Die Feuerfestindustrie eröffnet spannende Möglichkeiten, aktiv an Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit mitzuwirken – von der Klimaneutralität über Ressourcenschonung bis hin zu innovativen technologischen Entwicklungen. Für alle, die sich für diesen Bereich interessieren, ist ein naturwissenschaftliches Studium eine hervorragende Grundlage. Praktika bei Feuerfestherstellern oder Forschungsinstituten wie unserem bieten zudem eine ideale Gelegenheit, praxisnahe Einblicke zu gewinnen und die vielfältigen Facetten der Branche kennenzulernen. In die Feuerfestindustrie führen viele Wege!
4. Was ist Dein Lieblingsmineral?
Mein Lieblingsmineral ist der Andalusit (Al₂SiO₅), ein faszinierendes Alumosilikat und eines von drei Polymorphen – das heißt, es hat dieselbe chemische Zusammensetzung wie Kyanit und Sillimanit, aber eine andere Kristallstruktur und damit ganz eigene Eigenschaften. Andalusit wird in feuerfesten Werkstoffen sehr geschätzt, da er eine hervorragende Temperaturwechselbeständigkeit aufweist.
Besonders spannend ist seine Eigenschaft, sich bei Temperaturen oberhalb von 1.200 °C in Mullit und Siliziumdioxid (SiO₂) umzuwandeln. Diese Reaktion geht mit einem Volumenzuwachs einher, der die keramische Schwindung in feuerfesten Materialien kompensiert. Dadurch bleibt der Werkstoff stabil, selbst unter extremen Bedingungen.
Eine Herausforderung ist allerdings, dass Andalusit nicht synthetisch hergestellt werden kann, da für seine Bildung spezifische Druck- und Temperaturbedingungen erforderlich sind. Er ist daher ein begrenzter natürlicher Rohstoff.
Aktuell forschen wir in der Forschungsgemeinschaft Feuerfest e. V. auch daran, wie Andalusit substituiert werden kann, etwa durch die Wiederverwendung von Material, das bereits in feuerfesten Werkstoffen eingesetzt war. Diese Ansätze sind nicht nur nachhaltig, sondern tragen auch dazu bei, Ressourcen effizienter zu nutzen.
— Claudia Weidenthaler ∙ Mülheim/Ruhr