Die deutschen Geo-Gesellschaften: raus aus der Komfortzone?
Liebe Mitglieder,
wir möchten Ihnen von Diskussionen berichten, die die Zukunft der deutschen Geowissenschaftlichen Gesellschaften und somit auch die DMG betreffen. Kurz zusammengefasst geht es um die Frage, ob die Geo-Fachgesellschaften angesichts der ständig wachsenden Herausforderungen in integrierter Forschung und gesellschaftsrelevanten Lösungen unserer Zeit enger zusammenrücken wollen.
Im September 2021 haben sich dazu die Präsidenten sowie jeweils ein weiteres Mitglied der Deutschen Mineralogischen Gesellschaft, der Deutschen Geologischen Gesellschaft - Geologischen Vereinigung, der Deutschen Geophysikalischen Gesellschaft und der Paläontologischen Gesellschaft (also der vier Trägergesellschaften des DVGeo), der Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe BGR, sowie je ein Repräsentant der Senckenberg Gesellschaft und des GFZ Potsdam zu einem Workshop „Die Zukunft der Geowissenschaftlichen Vereine in Deutschland“ in Karlsruhe getroffen. Ziel des Workshops war es, der Frage nachzugehen, ob die Aufstellung der Geowissenschaften der festen Erde mit ihren Vereinen noch den Anforderungen der heutigen Zeit entspricht. Was sind diese Anforderungen für die DMG?
Die Disziplinen der DMG stehen schon immer im Zentrum der spannendsten geo- und materialwissenschaftlichen Grundlagenthemen: wie beispielsweise Materialien die innere Dynamik unseres Planeten bestimmen, wie die Entstehung von Magmen im Erdmantel die Differentiation des Planeten treibt und Vulkane wachsen lässt, wie die chemische Verwitterung das Klima der Erde über Millionen von Jahren reguliert, wie Minerale und Mikroben über die Erdgeschichte hinweg in Koevolution standen, oder wie die Kristallstruktur von Karbonatmineralen den Schalenbau von marinen Organismen steuert. Jenseits der Erde suchen hochentwickelte miniaturisierte Analyseinstrumente nach Lebensgrundlagen und grünen Männchen auf dem Mars und auf Kometen, und sie rekonstruieren die detaillierte Chronologie und Mechanismen der Akkretion der Planeten. Jedoch lassen sich diese großen Fragen nur selten von einer Disziplin alleine angehen: Dynamik und Stoffflüsse des Erdmantels sind ein Thema von Mineralogie und Geophysik, Koevolution von Mineralen und Leben ein Thema von Mineralogie und Paläontologie, chemische Verwitterung ein Thema von Hydrogeologie, Geomorphologie, Geochemie und oberflächennaher Geophysik, und die Klimaentwicklung der Erde ein Thema von Geologie, Geochemie und Paläontologie. Denn die Kompartimente der Erde sind in einem gemeinsamen System verbunden. Bei der Marserkundung sind sowieso längst alle Disziplinen gemeinsam unterwegs.
Heute allerdings haben die Menschen zahlreiche Elemente des Erdsystems wie das Klimasystem, die Biodiversität, den pH-Wert der Ozeane, die Verfügbarkeit sauberen Trinkwassers und die nachhaltige Nutzung von Geo-Ressourcen an eine Grenze geführt, bei deren Überschreitung die Stabilität eines für Menschen lebenswerten Planeten nicht mehr gewährleistet werden kann. Diese Herausforderungen werden von immer größeren Teilen der Gesellschaft erkannt. Dazu gehört auch die Entwicklung eines Endlagers für hochradioaktiven Atommüll. Die Problemanalyse wie auch die Lösungsansätze sind eindeutig zentrale geowissenschaftliche Themen.
Obwohl eine junge Generation in Sorge um ihre Zukunft diese Probleme sieht und sich engagiert, nehmen die Studierendenzahlen in den Geowissenschaften nicht zu. Die potentielle und bereits ausgeübte Rolle der Geowissenschaften ist der Gesellschaft kaum bewusst.
Wir sind also zu der Auffassung gekommen, dass wir durch die historisch begründete Fragmentierung der Geowissenschaften und ihrer Vereine unserer Verantwortung bei der Lösung der komplexen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen nicht mehr gerecht werden. Wie können wir unsere gesellschaftliche Relevanz erhöhen und unserer Fähigkeit stärken, zur Lösung der globalen Probleme beizutragen?
In dem Workshop in Karlsruhe und nachfolgenden Diskussionen haben wir sorgfältig überlegt, ob wir, die geowissenschaftlichen Vereinigungen in Deutschland, dieses Ziel gemeinsam umsetzen müssen. Ist es an der Zeit, dass der Dachverband der Geowissenschaften DVGeo im Sinne einer vertieften Integration den nächsten Schritt geht? Dies könnte bedeuten, dass wir in Zukunft unsere administrativen und organisatorischen Aufgaben unter Wahrung der Identität der Vereine im DVGeo gemeinsam gestalten. Dadurch erreichen wir Sichtbarkeit durch die notwendige Größe, um eine gemeinsame professionelle Organisationsstruktur aufzubauen. Wir wollen so Wahrnehmung und Einfluss in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit verbessern.
Natürlich birgt die potenzielle Umsetzung dieser Maßnahme Risiken, die Einigen unter Ihnen Sorgen bereiten werden. Das Hauptrisiko bei solch einem Verlassen unserer Vereins-„Komfortzone“ sehen wir in dem Verlust der Identität unserer Vereine, der Marginalisierung ihrer Disziplinen und dem potenziellen Verlust der finanziellen Autonomie. Wir nehmen diese Sorgen ernst und haben uns deshalb über eine gemeinsame Vereinsstruktur tiefe Gedanken gemacht, die einerseits den administrativen Aufwand für unsere Mitglieder stark reduziert und andererseits die Strukturen und Namen der bisherigen Vereine und deren Sektionen auf der zweiten Ebene der integrierten Gesellschaft erhält. So würden auch unsere Sektionen und Arbeitskreise wie Kristallographie, Archäometrie oder Petrologie aktiv sein wie bisher, während sich andere, wie z.B. Rohstoffforschung, vielleicht in einem größeren Rahmen mit Geologie und Geophysik zusammenfinden könnten.
Wir orientieren uns dabei an Vorbildern: Die Deutsche Physikalische Gesellschaft DPG ist eine Gesellschaft mit über 50.000 Mitgliedern. Die so grundverschiedenen Gebiete wie „Kosmos und Materie“ einerseits und „Umweltphysik“ andererseits sind in Sektionen und fachübergreifenden Arbeitskreisen eigenständig aktiv. Die Gesellschaft Deutscher Chemiker GDCh „vereint die den chemischen und molekularen Wissenschaften verbundenen Menschen“, sie hat 30.000 Mitglieder. Ein Blick lohnt sich auch auf die European Geoscience Union EGU. 18.000 Mitglieder sind unter einer gemeinsamen organisatorischen Struktur vereint. Die 22 „Scientific Divisions“ haben ihre eigenen Themen, eigene Treffen, eigene Preise und größtenteils auch eigene Fachzeitschriften (bei Copernicus).
Wir sehen durch diese potentielle Entwicklung vor allem enorme Chancen: die große Breite an spezieller Expertise, die wir unter unseren Dächern vereinen, kann so viel besser einer größeren geowissenschaftlichen Gemeinschaft bekannt gemacht werden. Gerade für die hohe methodische Kompetenz der Disziplinen der DMG, von ihren komplexen physikalischen Geräten bis zur Materialcharakterisierung mittels Computational Mineralogy, ergäbe sich die Chance, diese nach innen zur Lösung der großen Forschungsfragen und nach außen in den Dienst der drängenden gesamtgesellschaftlichen Fragestellungen der heutigen Zeit zu stellen. Damit verhelfen wir der mineralogischen Kompetenz zu weit größerer Sichtbarkeit, als dies allein innerhalb der gegenwärtigen Struktur möglich ist. Vor allem würde die integrierte Struktur die Studiengänge „Geowissenschaften“ weit besser abbilden als die einzelnen Vereine, und würde bei Studierenden und Promovierenden an Attraktivität gewinnen.
Wir hoffen, dass Sie unser Anliegen nach einer Weiterentwicklung des DVGeo unter dem Druck der heutigen Zeit, unserer Verantwortung gerecht zu werden, teilen, auch wenn Sie einer möglichen Zusammenführung unter einem Dach in manchen Punkten kritisch gegenüberstehen.
In den nächsten Monaten möchten wir mit Ihnen diese Konzepte diskutieren. Gelegenheit dazu bot sich im April 2022 für den erweiterten Vorstand auf einem Workshop der DMG: „Zukunft der Mineralogie“ in Bad Honnef (Ergebnisse lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor), bietet sich auf der nächsten Mitgliederversammlung in Köln, oder schreiben Sie uns eine Mail.
Mit besten Grüßen, Ihre
Friedhelm von Blanckenburg (Vorsitzender) und Horst Marschall (stellvertretender Vorsitzender)