Deutsche Mineralogische Gesellschaft

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Das Erdsystem. Willkommen im Wandel

DMG Worte des Vorsitzenden

Zwei Erkenntnisse zu unserem Planeten sind so wichtig, dass ich sie hier wiederhole – obwohl wir alle sie eigentlich längst kennen. 1.Die Erde ist ein „System“. Die fünf Sphären unseres Planeten – Atmosphäre, Hydrosphäre, Biosphäre, Geosphäre und Anthroposphäre – müssen zusammen betrachtet werden, denn sie beeinflussen sich gegenseitig durch den Austausch von Energie und Materie. Rückkopplungen zwischen ihnen sorgten dafür, dass das Erdsystem über einen Großteil der Erdgeschichte so stabil blieb, dass sich Leben entwickeln konnte. 2.Heute ist der Mensch ist zu einer Kraft im Erdsystem geworden. Die Nutzung fossiler Energien mit dem Klimawandel als sichtbarste und gravierendste Folge und die Übernutzung natürlicher Ressourcen und die sich daraus ergebende Beeinträchtigung vieler Ökosysteme haben den Zustand der Erde bereits massiv verändert. Im Anrthopozän gefährdet menschliches Handeln zunehmend das Wohlergehen künftiger Generationen und macht die Gewährleistung der Stabilität des Erdsystems zur größten Herausforderung, der wir uns jetzt stellen müssen. Beide Erkenntnisse erfordern Handeln und damit auch Wandel in Lehre und Forschung der Geowissenschaften.

Doch welche Gestalt kann diese Transformation der Geowissenschaften annehmen? Dazu hat die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina jetzt in einem Zukunftsreport Stellung bezogen[1]; an der Verfassung des Berichtes war ich beteiligt. Der vorliegende Artikel enthält Teile aus dem Leopoldina Report.

Im Kern des Berichtes steht das Systemkonzept als übergeordnetes Leitmotiv. Ein System besteht aus Komponenten, die durch Energie-, Material- und Kraftflüsse miteinander verbunden sind und durch Rückkopplungsmechanismen interagieren. Ein System hat definierte Grenzen, jenseits derer es weder Interaktion in zwei Richtungen noch Rückkopplung gibt, aber es kann zu einer Beeinflussung von außerhalb des Systems ohne Rückkopplung kommen. Bereits im Jahr 1986 wurde die Erdsystemwissenschaft durch die NASA vorgeschlagen[2]. Seither haben sich die Erdsystemwissenschaften sehr stark auf die Atmosphäre – Hydrosphäre – Biosphäre und die Ozeane konzentriert, zwischen denen die Interaktionen am offensichtlichsten sind.

Der neue Bericht der Leopoldina hingegen umfasst die Kompartimente des Erdsystems vom Erdkern bis zur oberen Atmosphäre, also auch z.B. tektonische Prozesse und Mantelschmelzen. In der Abbildungref 1 zeigen Pfeile den Transfer von Masse, Wärme und Strahlung oder Kräfte zwischen den Kompartimenten. Pfeile in beide Richtungen bedeuten, dass die Kompartimente durch Rückkopplungen miteinander verbunden sind. Das Erdsystem umfasst ein gewaltiges Spektrum von Zeitskalen: von Milliarden Jahren für den Erdmantel bis hin zu Jahren oder weniger für Gase in der Atmosphäre. Die moderne Systemtheorie besagt, dass das menschliche Verhalten durch Rückkopplungen mit dem Erdsystem beeinflusst wird. Diese Wechselwirkungen sind auf der rechten Seite dargestellt.

Der Bericht stellt drei Leitmotive vor, an denen sich die Geowissenschaften mit der Erdsystemwissenschaft als übergeordnetes Leitbild orientieren können. Diese Leitmotive sind:

Wissenschaftliche Entdeckungen vorantreiben. Neugier und Freude am Entdecken werden immer die Basis für die Erforschung der Erde sein. Wie sich z. B. unser Planet bildete, wie und wann erstmals Lebenentstanden ist oder ob wir allein im Universum sind sind Fragen, die die Menschheit schon immer fasziniert haben und dies angesichts methodischer Fortschritte auch weiterhin tun werden.

Eine präzise Diagnose des Zustands der Erde erstellen. Klimaarchive aus Sedimenten geben Hinweise auf die Wirkung kritischer Schwellenwerte; diese Befunde aus der Vergangenheit sind für entscheidende Fragen zu Wirkungsweise des heutigen Ozean-Atmosphäre-Kryosphäre-Systems wichtig. Den Zustand der Erdoberfläche und der Meere, die Ursachen und die Folgen der mannigfaltigen Veränderungen zu diagnostizieren und ihren zukünftigen Verlauf zu prognostizieren ist für die Zukunft der modernen Zivilisation und die Entwicklung von Lösungen von größter Bedeutung.

Lösungen bereitstellen. Die Erdsystemwissenschaft muss Lösungen zur Abschwächung des Klimawandels und anderer globaler Umweltveränderungen für Entscheidungen und Anpassungsmaßnahmen anbieten. Dazu gehört auch die Entwicklung von Resilienz gegenüber Naturgefahren wie Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Extremwetterereignissen. Eine weitere Aufgabe für die angewandte Forschung ist die Formulierung von Strategien für eine nachhaltige Exploration, Produktion und Wiederverwertung von Ressourcen, die für die Dekarbonisierung der Energiegewinnung und Mobilität, die Bereitstellung von Rohstoffen und die ausreichende Verfügbarkeit von Wasser erforderlich sind.

Um die deutschen Geowissenschaften zu modernisieren und ihre führende Rolle bei der Lösung der zahlreichen gesellschaftlichen Herausforderungen zu sichern, werden in dem Bericht die folgenden sechs Maßnahmen vorgeschlagen: 

  1. Die Erdsystemwissenschaft als Leitidee etablieren. Diese soll bestehende Disziplinen nicht ersetzen, sie aber zur Lösung der großen Fragen in Neugier-getriebener Forschung und Lösungen für die Gesellschaft verbinden.
  2. Kapazitäten für Erdbeobachtung aufbauen. Veränderungen im System Erde zu überwachen und für die Prognose künftiger Entwicklungen zu nutzen erfordert umfangreiche Erdbeobachtungskapazitäten und Analysewerkzeuge. Eine nationale Roadmap könnte Investitionen in Erdbeobachtungs- und Datenverwaltungs-Infrastrukturen voranbringen.
  3. Digitale Infrastrukturen und Kapazitäten für Big Data entwickeln. Um Grenzen und kritische Schwellenwerte des globalen Wandels, der Ressourcenverfügbarkeit und der Georisiken zu ermitteln sind große digitale Infrastrukturen, Initiativen für eine nationale Datenstrategie und eine Hochleistungsrechner-Infrastruktur erforderlich. Zur Anwendung zählt auch die Entwicklung „digitaler Zwillinge“ der Erde.
  4. Universitäre Ausbildung weiterentwickeln. Ein attraktives Angebot soll potenziell Studierenden die Verbindung von Grundlagen und Anwendung für die Lösung künftiger Probleme im Kontext des Erdsystems vermittelt. Dies kann als Masterkurs im Anschluss an die bestehenden disziplinären Studiengänge geschehen oder als eigenständiger Studiengang. Die Ausbildung sollte der erwarteten Weiterentwicklung des traditionellen geowissenschaftlichen Arbeitsmarktes zu neuen Berufsfeldern wie Geodatenmanagement und -analytik, die Entwicklung von Vorhersagemodellen und Methoden zur Bewertung der Vulnerabilität von öffentlichen und privaten Infrastrukturen, oder die Implementierung negativer Emissionstechnologien Rechnung tragen.
  5. Kompetenzen zur Kommunikation von Lösungsvorschlägen aufbauen.Zukunftsszenarien von einer Erde im Wandel und Lösungsoptionen erfordern die Kompetenz der Vermittlung an die Öffentlichkeit und an politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger. Dazu gehört die Fähigkeit zur wechselseitigen Kommunikation von Lösungen. Diesbezügliche Fähigkeiten sollten an Universitäten und Forschungszentren vermittelt werden.
  6. Vernetzung verstärken. Dies bedeutet die Entwicklung kritischer Masse zwischen Universitäten und Forschungseinrichtungen zur Realisierung großer Infrastrukturen und deren Nutzung. Vernetzung betrifft auch die deutschen geowissenschaftlichen Fachgesellschaften. Sie sollten sich koordinieren um institutionell in der Öffentlichkeit und bei Stakeholdern mit einer Stimme auftreten. 

Der sicherlich nicht unkontroverse Bericht enthält zahlreiche mit neuem Bildmaterial illustrierte Beispiele für aktuelle Grundlagenforschungsfragen in den Geowissenschaften, der Analyse des Erdsystems im Antropozän, zu Naturgefahren und der Verfügbarkeit und nachhaltiger Nutzung natürlicher Ressourcen. Für all jene, die sich mit Wissenschaftstrategie oder der Weiterentwicklung von Studiengängen befassen sowie allen Jungen unter uns, die eine Vision auf die Zukunft ihrer Fächer interessiert, ist die Lektüre des Berichtes unbedingt empfohlen. Hier kann er in deutscher un englischer Sprache aufgerufen werden.[3] Auf die nachfolgenden Diskussionen zum Erdsystem freue ich mich schon.

Ihr und Euer

Friedhelm von Blanckenburg, Vorsitzender der DMG

 


[1] Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina (2022): Zukunftsreport Wissenschaft. Erdsystemwissenschaft – Forschung für eine Erde im Wandel. Halle (Saale). doi.org/10.26164/leopoldina_03_00590

[2] NASA (1986) NASA Advisory Council. Earth System Sciences Committee, Earth system science overview: a program for global change, Publisher: National Aeronautics and Space Administration, Washington.

[3]www.leopoldina.org/publikationen/detailansicht/publication/erdsystemwissenschaft-forschung-fuer-eine-erde-im-wandel-2022/

 

 

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