Wort des Vorsitzenden Liebe Mitglieder und Freunde der DMG, „Attraktive Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft sind eine wesentliche Voraussetzung dafür, im nationalen und internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe talentierte junge Menschen für Wissenschaft und Forschung zu gewinnen und zu halten“, heißt es in der Begründung für die jetzt vorgelegte Neuregelung des WissZeitVG, also des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes; und weiter: „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler brauchen Rahmenbedingungen, unter denen sie ihre Potentiale entfalten können.“ Soweit sind sich wohl alle Beteiligten und Betroffenen einig. Einigkeit herrscht auch darüber, dass die Bedingungen an deutschen Universitäten, unter denen Wissenschaftler*innen in der Zeit nach der Promotion versuchen ihr Potential zu entfalten, weder für sie noch für die Institute optimal sind. Bemängelt werden fehlende Perspektiven und mangelhafte Planbarkeit.
Man könnte also meinen, das Ziel einer Verbesserung der Situation läge klar vor Augen und es bedürfe nur der Wahl der richtigen Mittel, um den besten Köpfen die idealen Rahmenbedingungen zu bieten. Es herrschen jedoch auch unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie die ideale Universität in Deutschland aussehen sollte – dabei divergieren beispielsweise die Geisteswissenschaften von den Naturwissenschaften, die angestrebten Ziele des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) von dem, was die Ministerien der Länder umsetzen und finanzieren wollen, die wiederum von den Universitäten und ihren unterschiedlichen Statusgruppen vor Ort abweichen. Über allem schwebt ein europäisches Arbeitsrecht, das bei Befristungen von Arbeitsverträgen eigentlich klare Grenzen vorgibt, die allerdings von den Universitäten ziemlich gedehnt werden, indem man bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sehr lange Qualifizierungsphasen definiert.
Die Situation für Studierende und Promovierende ist an deutschen Universitäten – jedenfalls in den Geowissenschaften – sehr gut. Es gibt einen hohen Betreuungsschlüssel, viel Kontakt zu Lehrenden, eine grundlegende und intensive Ausbildung im Gelände, im Labor und im Hörsaal, einschließlich einer guten Ausstattung der Bibliotheken und bei der digitalen Infrastruktur. Die Befristung von Arbeitsverträgen während der Promotionsphase wird generell akzeptiert und niemand fordert die unbefristete Anstellung von Promovierenden, da es sich hier ganz unbestritten um eine echte Qualifikationsphase zur Vorbereitung auf eine Karriere in Wissenschaft, Forschung oder Lehre handelt (sei es an einer Universität oder beispielweise einer staatlichen oder privaten Forschungseinrichtung, einem Amt, einem Industriebetrieb oder einer Lehreinrichtung). Außerdem ist klar, dass nach der Promotion in der Regel ein Wechsel des Arbeitgebers erfolgt und ein Verbleib an der gleichen Universität nur in Ausnahmefällen gewollt ist.
Kritisch ist jedoch die bereits genannte fehlende Planbarkeit in der Postdoc-Phase. Hier sieht die klassische Karriere in Deutschland die Habilitation und die Vorbereitung auf eine passende, freiwerdende Professur vor. Insgesamt hilft es hierbei vielleicht, wenn man sich klar macht, dass sich bei ungefähr gleichbleibendem Personalbestand der Universitäten die rein statistische Chance auf eine Professur aus der trivialen Tatsache ergibt, dass jede freiwerdende Professur nur mit einer einzigen Person besetzt werden kann – von allen Studierenden, Doktorand*innen und Mitarbeiter*innen, die ein*e Professor*in über eine Karriere von 25 oder mehr Jahren betreut, unterrichtet oder angeleitet hat, kann nur eine einzige Person die Nachfolge antreten!
Falls sich diese Chance nicht ergibt oder sie nicht ergriiffen werden kann oder will, gibt es an der Universität als Alternative eine Anstellung im akademischen Mittelbau. Dies kann entweder über einen unbefristeten Arbeitsvertrag erfolgen oder über eine Aneinanderreihung von mehrjährigen Verträgen von der Promotion bis zur Rente. Die Anzahl der Stellen im akademischen Mittelbau ist jedoch auch begrenzt: Laut Statistischem Bundesamt kommen auf ca. 22.000 unbefristete Professuren an deutschen Universitäten (ca. 370 in den Geowissenschaften) etwa 74.000 wissenschaftliche Mitarbeiter*innen mit abgeschlossener Promotion. Dies schließt jedoch die befristeten Stellen mit ein, und nur etwa 29.000 dieser Mitarbeiter*innen sind unbefristet angestellt (Quelle: BMBF; Zahlen für 2022). Insgesamt promovieren in Deutschland jedes Jahr etwa 28.000 Personen (ca. 230 in den Geowissenschaften) und es werden etwa 1.500 unbefristete Stellen neu besetzt (Mittelbau und Professuren; Abb. 1). Die statistischen Chancen für Promovierte auf eine unbefristete Mittelbaustelle und eine Professur halten sich in etwa die Waage und liegen zusammengenommen bei etwa 5 Prozent aller Promovierten eines Jahrgangs. Hierbei werden etwa 3.000 promovierte Personen eines Jahrgangs zunächst auf befristeten Stellen beschäftigt, von denen etwa die Hälfte im Alter zwischen 35 und 45 Jahren auf eine der 1.500 unbefristeten Stellen pro Jahr gelangt (Abb. 1).
Die Mehrzahl der anderen Hälfte verlässt die Universität, wobei nur etwa 1 Prozent der Promovierten längere Zeit arbeitslos bleibt. Das Lebensalter bei Abschluss der Promotion liegt im Median bei etwa 31 Jahren und das Lebensalter bei der Erstberufung auf eine unbefristete Professur liegt im Median bei etwa 41 Jahren. Zwischen Promotion und Professur liegen also typischerweise zehn Jahre Postdoc-Zeit, die in den meisten Fällen mit befristeten Verträgen aller Art ausgefüllt wird (Assistenzstellen, Projektstellen, Stipendien). Die Erstberufung auf eine Professur aus einer unbefristeten Mittelbaustelle heraus ist eher die Ausnahme.
Diese gegenwärtige Situation wird nun aus mehreren Gründen kritisiert: Im deutschen Universitätssystem ist die Tenure-Track-Karriere immer noch zu wenig etabliert, so dass kein klarer Karriereweg vorgegeben ist. Der Ruf auf eine Professur kann für eine*n wissenschaftliche*n Mitarbeiter*in nur von einer anderen Universität erfolgen, da ein Aufstieg am eigenen Institut als Hausberufung gilt und nur in seltenen Fällen hingenommen wird. Aufgrund der Befristungsregelungen ist der*die Mitarbeiter* in außerdem gezwungen, nach Ablauf des befristeten Vertrags das Institut zu verlassen. In der Praxis heißt das, dass sich entweder die Chance einer Berufung auf eine Professur oder das Angebot einer unbefristeten Mittelbaustelle auftut, oder dass man mit Ende 30 / Anfang 40 keine weiteren Verträge mehr an einer deutschen Universität angeboten bekommen darf. Hier besteht nun die Kritik darin, dass die langjährige Universitätserfahrung für Arbeitgeber außerhalb der Universität uninteressant sei und die Personen für den Arbeitsmarkt demnach zu alt seien.
Genau hier wollte nun das 2007 in Kraftgetretene, 2016 reformierte und jetzt in einer Novelle als Referentenentwurf vorliegende WissZeitVG angreifen. In der bisher geltenden Version des Gesetzes wurde die Gesamtdauer von befristeten Verträgen nach der Promotion auf sechs Jahre begrenzt. Dies wird nun im neuen Entwurf auf vier Jahre verkürzt. Dahinter steht ein Bild, das meiner Ansicht nach recht wenig mit der Realität an den Universitäten zu tun hat. Aus Sicht einiger Vertreter der Politik sollte ein talentierter junger Mensch spätestens vier Jahre nach der Promotion gezeigt haben, dass er zum eingangs erwähnten Kreis der besten Köpfe zählt, indem er in dieser Zeit eine unbefristete Stelle angetreten hat. Aus dieser Auffassung folgt auch, dass alle Mitarbeiter, denen selbst nach vier Jahren Postdoc-Zeit noch keine unbefristete Stelle angeboten wurde, offensichtlich nicht zu den besten Köpfen zählen und das System nicht weiter „verstopfen“ sollten, wie es in dem vielgescholtenen Hanna-Video des BMBF von 2018 hieß.
Auf der anderen Seite stehen Forderungen von Gewerkschaftsseite und aus Teilen des Mittelbaus selbst, die von den Universitäten die sofortige Entfristung eines Großteils der Mittelbaustellen vorsehen. Die Anzahl der befristeten Stellen im Mittelbau, die man entfristen könnte, ist allerdings, wie oben aufgeführt, nur sehr gering. Eine solche Maßnahme würde die Situation für die Institute und die Mitarbeiter*innen etwas abmildern, aber nicht grundsätzlich reformieren. Ein großer Teil der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen ist über Drittmittel im Rahmen von Forschungsprojekten beschäftigt und die Laufzeit ihrer Verträge ist mit der Finanzierungsdauer des jeweiligen Projektes verknüpft. Keine Universität wird einen drittmittelfinanzierte*n Mitarbeiter*in unbefristet anstellen in der Hoffnung, dass sich nach Abschluss des einen Projektes ein neues auftun wird und so weiter und die Finanzierung auf diese Weise dauerhaft gesichert wäre. Von Seiten der Gewerkschaften wurde daher gefor - dert, dass die Grundfinanzierung der Universitäten gestärkt werden sollte, um mehr Stellen im Mittelbau bereitstellen zu können. Finanzieren könnte man dies nach Ansicht der Gewerkschaften über eine Reduzierung der Forschungsmittel, die Bund und Länder bereitstellen, da diese jeweils befristet gewährt werden und daher arbeitnehmerfeindlich sind. Ich überlasse der*dem Leser*in die Beurteilung dieses Vorschlags.
Ich persönlich habe die Möglichkeit, nach der Promotion auf befristeten Verträgen beschäftigt zu sein, damals nicht als Belastung empfunden, sondern eher als Ausdruck der Freiheit, in meiner Karriere als Wissenschaftler noch vieles ausprobieren zu dürfen. Was ich allerdings als Bedrohung wahrgenommen habe, war das durch das WissZeitVG vorgegebene zwangsläufige Ende dieser Freiheit, das mit diesem Gesetz bei Erreichen der Frist einhergeht. Die Kombination aus fehlendem Tenure-Track- Karrierepfad und dem De-Facto-Berufsverbot, das das WissZeitVG vorgibt, hat mich darin bestärkt, Deutschland nach der Promotion zu verlassen. An US-amerikanischen Universitäten und Forschungseinrichtungen tri² man sehr viele talentierte Köpfe mit ähnlichen Lebensläufen, die mal an deutschen Universitäten ausgebildet worden sind. Es ist nicht zu erwarten, dass die weitere Beschränkung der Postdoc-Phase auf maximal vier Jahre durch ein novelliertes WissZeitVG ein wesentlicher Schlüssel für den Erhalt und den Ausbau der internationalen Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit Deutschlands sein wird, wie es der nun vorliegende, neue Entwurf ankündigt. Im Gegenteil wird er eher noch mehr der besten Köpfe dazu motivieren, ihre Talente in anderen Ländern oder außerhalb der Universitäten zur Entfaltung zu bringen.
Das BMBF nennt den großen Anteil an befristeten Arbeitsverträgen an den Universitäten eine Fehlentwicklung und zeigt sich enttäuscht, dass die bisher gültige Fassung des WissZeitVG dem keinen Riegel vorgeschoben hat. Nun soll also die Regelung drastisch verschärft werden: Wenn zu viele wissenschaftliche Mitarbeiter*innen auf befristeten Stellen beschäftigt sind, verbietet man einfach eine solche Beschäftigung – Problem gelöst.
Der DVGeo und die anderen naturwissenschaftlichen Verbände lehnen die Verkürzung der maximalen Befristungszeit für Postdocs auf vier Jahre ab, unterstützen aber die stärkere Etablierung von Tenure-Track-Stellen. Langfristig lässt sich die Situation an den Universitäten sicher nur dadurch verbessern, dass man die Grundfinanzierung erhöht. In den letzten Jahren ist jedoch der Anteil der Drittmittelfinanzierung ständig angewachsen.
Eine perfekte Lösung für die Situation kann bisher niemand anbieten. Klar ist, dass auch in einem optimierten System nicht alle Personen, die eine langfristige akademische Karriere anstreben, diese auch verwirklichen können. Ziel muss es aber sein die kreativsten, begabtesten, produktivsten, kommunikativsten Menschen für die Universitäten zu gewinnen. Ich denke, wir haben uns zu lange mit der Frage beschäftigt, wie wir Leute aus dem System rausdrängen können, die wir für ungeeignet halten, und uns nie richtig mit der Frage beschäftigt, wie wir Leute gewinnen und dauerhaft halten können, die wir für geeignet halten. Bei der Verschärfung des WissZeitVG sehe ich noch keine Abkehr von diesen Traditionen. Im Hanna-Video des BMBF war die ausgegebene Losung: „Innovation durch Fluktuation“.
— Euer/Ihr Horst Marschall