Zum Stand der Planungen für ein gemeinsames geowissen-schaftliches Grundstudium - Zugleich Offene Antwort auf den Offenen Brief der Münchner Kristallographen

Im Januar 1998 fand in Bad Honnef auf Einladung des Forschungskollegiums Mineralogie eine Konferenz statt, zu der Vertreter aller deutschen Mineralogischen Institute (sensu latissimo) eingeladen waren. Dort zeichnete sich ab, daß an der überwiegenden Zahl der Standorte ein teilweises oder komplettes Zusammengehen in der Lehre mit anderen geowissenschaftlichen Disziplinen (insbesondere der Geologie) entweder schon realisiert oder in konkreter Planung oder zumindest angedacht ist. Der Grad der Integration war dabei variabel, von einem gemeinsamen Grundstudium und darauf folgender Differenzierung, über ein gemeinsames Baccalaureat, und bis hin zu einem voll integrierten Diplomstudiengang. Diese Erörterungen fanden auch vor dem Hintergrund des von der Hochschul-rektorenkonferenz (HRK) gutgeheißenen Entwurfs einer neuen Rahmenprüfungs-ordnung für einen gemeinsamen geowissenschaftlichen Studiengang statt. Dieser Entwurf (der bereits auf den DMG-Mitgliederversammlungen in Köln 1997 und Berlin 1998 diskutiert wurde) ist inzwischen von der HRK verabschiedet worden und wird derzeit in der gemeinsamen Kommission (GemKom) der HRK mit der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK) beraten. Es ist damit zu rechnen (und zu hoffen), daß er noch im Jahr 1999 verabschiedet und dann den Universitäten (und vielleicht auch den Gesellschaften) zur weiteren Diskussion vor-gelegt wird.
Zeitlich parallel zu diesen Aktivitäten haben eine Reihe von Hochschulen neue, integrierte Studiengänge entwickelt, die z.T. bereits in Kraft sind. In den DMG-Mitteilungen, Heft 75, August 1998 waren von Seiten des Vorstandes Vorschläge und Überlegungen zu Struktur und Lehrinhalten möglicher gemeinsamer geowissen-schaftlicher Studiengänge veröffentlicht worden. Da die Planung an vielen Hochschulen damals völlig im Fluß war (und es zum Teil auch heute noch ist), war dieses Papier z.B. in der Frage der Adressaten mit Absicht vage. Ziel war es, denjenigen Kollegen eine Handreichung zu geben, die eine Integration mit z.B. der Geologie anstreben. Wichtigste Anliegen waren dabei
- einen integrierten Studiengang genügender Breite und Flexibilität zu schaffen, an dem sich alle oder doch zumindest viele Disziplinen der Festen Erde beteiligen können und in dem auch die materialwissenschaftlichen Interessen ihren Platz finden.
- Stärkung der Lehre in den naturwissenschaftlichen Grundlagenfächern und Mathematik/Informatik im Vergleich zur Planung anderer geowissenschaftlicher Diszi-plinen (zum Vergleich: es gibt zumindest an einer deutschen Hochschule einen Diplomstudiengang Geowissenschaften, in dem man mit 15 SWS naturwissenschaft-licher Grundlagenfächer auszukommen meint, im DMG-Vorschlag sind es 40 SWS).
- Integration der geowissenschaftlichen Lehrinhalte. So wird z.B. in den 20 SWS Lehr-veranstaltungen, die für alle Studierenden der Geowissenschaften im Grundstudium obligatorisch sind, die Aufteilung in die konventionellen Fächer wie Allgemeine Geologie, Historische Geologie, Mineralogie oder Kristallographie vermieden. Die Inhalte sollen vielmehr in disziplinenübergreifende Grund-vorlesungen eingebracht werden, die die fundamentalen stofflichen, räumlichen und zeitlichen Aspekte des Systems Erde umfassen. Dieses Konzept verlangt von den Dozenten aller Disziplinen, die sich an einem solchen Studiengang beteiligen wollen, mehr als nur eine Um-etikettierung von Vorlesungen.
In der Planung ist im Grundstudium ein weiterer Block von 20 SWS vorgesehen, welcher der beginnenden Spezialisierung dient. Die Münchner Kristallographen nehmen wohl vor allem daran Anstoß, daß das Fach Kristallographie erstmalig hier verbatim erscheint. Dabei ist zu bedenken, daß andere Teile von Kernfächern des bisherigen Studiengangs Mineralogie, z.B. die Petrologie, die Geochemie oder die Lagerstättenkunde, bis zu dieser Stelle überhaupt nicht erwähnt werden.
Der HRK-Entwurf zur neuen geowissenschaftlichen Studienordnung kann und will nur einen "weiten Mantel" bieten, in dem sich die Fächer an den einzelnen Standorten entsprechend ihrer spezifischen Arbeitsrichtung und ihrer Stärken profilieren werden, ohne hoffentlich das gemeinsame Ziel aus den Augen zu verlieren. Das heißt, dieser Studiengang wird lokal ausdifferenziert sein; das gegenwärtige Konzept gibt die Möglichkeiten hierzu. Nach der gegenwärtigen Planung sind bei der (studienbeglei-tenden) Vordiplom-Prüfung maximal fünf Fächer möglich: Geowissenschaften, Mathe-matik/Informatik, Physik, Chemie und ein weiteres, von der örtlichen Prüfungs-kommission zugelassenes Fach. Dies könnte z.B. Materialwissenschaften sein, worin die Kristallographie als wesentliche Komponente beteiligt wäre. Eine Nennung der Kristallographie unter den naturwissenschaftlichen Grundlagenfächern oder bei den allgemein verbindlichen geowissenschaftlichen Grundvorlesungen würde diejenigen Universitäten von einer Teilnahme ausschließen, an denen es gar keine Kristallo-graphie gibt, sondern entsprechende Inhalte innerhalb der Festkörperchemie oder -physik vermittelt werden. Wenn sich andererseits vor Ort die Möglichkeit bieten sollte, verstärkt kristallographische Inhalte im Bereich der naturwissenschaftlichen Grundlagen-fächer zu vermitteln (wie in den 5 SWS "weitere Fächer"), so wäre dies zu begrüßen.
Im übrigen zeichnet sich - weitgehend folgend dem HRK-Entwurf - eine Regel-studienzeit von 10 Semestern (einschließlich der Diplomarbeit) und ein Baccalaureat vor dem 7. Semester ab. Als Zahl der Pflichtstunden sind 180 SWS bis zum Diplom bzw. 130 SWS bis zum Baccalaureat vorgesehen. Die Regelungen für die Art der Prüfungsfächer werden lokale Flexibilität zulassen.
Die gegenwärtige Zeitplanung sieht vor, daß der Entwurf der neuen Rahmen-studienordnung im Herbst 1999 im Plenum der GemKom diskutiert wird und danach über die Ministerien an die Hochschulen gehen wird. Derzeit ist noch nicht klar, ob die neue Ordnung zwangsläufig an allen Standorten bisher existierende Diplom-prüfungsordnungen oder bereits neu entwickelte Studiengänge ersetzen oder beeinflussen wird. Neben der (möglicherweise befristeten) Beibehaltung der alten Prüfungsordnung Mineralogie sind zusätzlich oder alternativ zum neuen integrierten geowissenschaftlichen Studiengang (bei dem übrigens die DMG sich für die Nen-nung der Mineralogie in der Bezeichnung des Abschlusses stark macht) durchaus andere innovative Konzepte denkbar (und werden derzeit konkret an einigen Uni-versitäten erörtert), wie ein Lehr-Verbund mit den Materialwissenschaftlern und/oder der Festkörperphysik. Auch hier wären kristallographische Inhalte unverzichtbar.

 

Bayreuth, den 15. 5. 1999

Für den Vorstand der DMG
Friedrich Seifert