Blick zurück

II. Hochschulerneuerung in den neuen Bundesländern

Mit der staatlichen Vereinigung am 3.10.1990 war der Weg zur Umgestaltung der Hochschulen der neuen Bundesländer zwar prinzipiell freigegeben, um ihn begehen zu können mussten indessen erhebliche Steine aus dem Weg geräumt werden. Dazu gehörten: 1. Angefangen vom Grundgesetz über das System der Marktwirtschaft bis hin zum Tarifsystem von Angestellten und Beamten waren selbst aufgeklärten Neubürgern der Bundesrepublik die wesentlichen Spielregeln unbekannt, nach denen eine bundesdeutsche Hochschule organisiert ist. 2. Mit dem 3.10.90 änderte sich am Personalbestand der Hochschulen zunächst nichts. Die neu gegründeten Landesministerien ( die Landesregierungen waren mit Gründung der DDR aufgelöst worden, vor allem um die Vorherrschaft der SED durchzusetzen) mussten erst einmal selbst das notwendige Personal akquirieren, konnten dann erst Richtlinien zur Neugestaltung an die Hochschulen geben bzw. Hochschulkommissionen mit dem Auftrag der Neukonzeption berufen. In der Übergangsphase mussten die Hochschulen mit dem vorhandenen Personalbestand, den vorhandenen Strukturen, den bisherigen Lehrplänen und den vorhandenen Ausrüstungen den Lehrbetrieb fortführen. 3. Die Bestimmung des Einigungsvertrages, wonach inoffizielle Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit nicht im öffentlichen Dienst beschäftigt werden dürfen, führte zu einem zeitweiligen Lähmungszustand unter jenen Betroffenen, die ihre IM-Tätigkeit verschwiegen hatten und darauf hofften, im Rahmen des langwierigen Überprüfungsprozesses der Gauck-Behörde nicht entdeckt zu werden. Hinzu kam die von Beginn an klare Perspektive der Stellenreduzierung im Hochschulbereich insgesamt, wobei die Stellenpläne (Struktur und Umfang) der altbundesdeutschen Hochschulen als Vorbild herangezogen wurden. Die daraus resultierende Passivität bzw. Zukunftsangst behinderte die Bestrebungen um die Erneuerung in der Übergangsphase ebenfalls. 4. Die SED – inzwischen in PDS umbenannt – versuchte zunächst in den Räumen der Hochschulen, später von außerhalb, durch Obstruktion den Erneuerungsprozess auf breiter Front aufzuhalten. Man muss dazu berücksichtigen, dass der Anteil der SED-Mitglieder unter den Professoren und Dozenten deutlich über dem Mittelwert von ca. 10% der Bevölkerung lag, bei Professoren und Dozenten je nach Hochschule um die 90%.

Der Prozess der Erneuerung hatte mehrere Komponenten: a) Erarbeitung einer Konzeption der einzelnen Hochschulen. Hierzu wurde der Wissenschaftsrat mit Evaluierungen und Empfehlungen an die Länder tätig, deren Hochschulentwicklungskommissionen im Verein mit den Ministerien dann Richtlinien verabschiedeten. b) Anpassung der Strukturen an die bestehenden Strukturen der alten Bundesländer (Verwaltung und Selbstverwaltung, Stellenpläne, Räume usw.). c) Evaluierung aller vorhandenen Hochschullehrer und wiss. Mitarbeiter durch eine Personalkommission (hinsichtlich persönlicher Integrität [Gauck- Überprüfung]) und durch eine Fachkommission (hinsichtlich fachlicher Leistungen in der Vergangenheit, wobei dieser Kommission auch Fachvertreter aus den alten Bundesländern angehörten). d) Personalanpassung auf Grund der Stellenpläne und der Ergebnisse der Evaluierung. Dazu Erarbeitung neuer Stellenprofile für alle Stellen der Hochschullehrer, wissenschaftlichen Mitarbeiter und des technischen und Verwaltungs-Personals (also in der Regel einige Tausend pro Hochschule!), Ausschreibung aller Stellen des wiss. und techn. Personals auf Landesebene. Stellenbewerbung und -besetzung unter der Regie von Auswahlkommissionen mit der Nebenbedingung sozialer Verträglichkeit. d) Weltweite Ausschreibung der Hochschullehrerstellen (Professsuren, Dozenturen) und Berufung durch Berufungskommissionen mit Vertretern der alten Bundesländer.

Während die Teile a) bis d) in Sachsen von Herbst 1991 bis Ende 1992 abgeschlossen wurden, zogen sich die Berufungsverfahren d) noch über einige Jahre hin. Es fehlt hier der Raum, um auch nur auf die wichtigsten Schwierigkeiten eingehen zu können. Für das bessere Verständnis des heutigen Zustands seien aber folgende Umstände besonders hervorgehoben. (i) Wegen der Stellenreduzierung im wissenschaftlichen und technischen Personal auf etwa 50% (!) des Umfangs von 1990 und den Randbedingungen sozialer Verträglichkeit obsiegten bei der (Wieder-) Bewerbung praktisch ausschließlich Angehörige des bisherigen Personals. Die neu berufenen Professoren (im Prinzip aus aller Welt, aber in einigen Fällen auch frühere Inhaber der betreffenden Position) fanden daher nur besetzte Mitarbeiterstellen und das auch noch mit Mitarbeitern jünger als 55 Jahre vor (eine spezielle Altersübergangsregelung Ost bot die Möglichkeit im Alter von 55 auszuscheiden). Viele dieser Stellen waren oder wurden durch Gerichtsentscheid permanentisiert. Der Start neuer Arbeitsrichtungen musste also personell überwiegend mit Drittmittelkräften gewährleistet werden. (ii) Der enorme Termindruck ( innerhalb 15 Monaten mussten die gesamte Konzeption, die Evaluierung , die Kommissionsbildung und die Stellenbesetzung einschließlich Ausfertigung aller Arbeitsverträge per 1.1.1993 durchgeführt werden) ergab sich aus der Forderung, die Erneuerung bei laufendem Betrieb durchführen und die Finanzierung der Hochschulen schnell den vorhandenen Ressourcen anpassen zu können. Unter diesen Umständen war die oft aus den alten Bundesländern vorgetragene Vision der Chance eines modellhaften vollständigen Neuanfangs im Osten (‚alle Fehler des Westens vermeiden‘) nicht praktikabel, zumal die Ansichten darüber, was gut oder schlecht am herkömmlichen System sei auch unter den Evaluierenden weit auseinander gingen.

Am Beispiel der Forschungsförderung (HBFG-Verfahren, DFG, DAAD, BMBF) wurde schnell deutlich, welchen Zeitvorteil die Übernahme der Verwaltungsstrukturen des Westens für die Osthochschulen bot. Abgesehen vom Lehrgeld, das unerfahrene Antragsteller persönlich zahlen mussten (zunächst etwas gepuffert durch einen Anfangsbonus), konnte die Ausrüstung mit Großgeräten in den Jahren 1993 – 1996 überall dort dem aktuellen Stand angepasst werden, wo die Berufungsfragen geklärt waren. In den folgenden Jahren sank dann die Neuberufungsrate auf den Durchschnittswert, der Angleichungsprozess an die Verhältnisse in den alten Ländern ging kontinuierlich weiter. Heute noch bestehende Defizite betreffen vor allem die Infrastruktur der Hochschulen, deren Ausbau zugunsten der überdurchschnittlich hohen Aufwendungen für Erstausstattungen Neuberufener zunächst zurückgestellt werden musste.

In Fachkreisen der Mineralogen wurde im Zusammenhang mit der allgemeinen Stellenkürzungswelle der späten neunziger Jahre gefragt, weshalb man im Osten überhaupt den Studiengang Mineralogie wieder eingeführt habe. Tatsächlich hatten sich dabei die lokalen Interessen der Hochschulen mit Empfehlungen des Wissenschaftsrats und des DMG-Vorstands getroffen. Nun hat jede Hochschule ihre Spezifika, aber es gab auch durchaus gemeinsame Züge der Argumentation wie die Lehranforderung der Geowissenschaften (einschl. Geographie), der Wunsch nach wissenschaftlicher Begleitung vorhandener Sammlungsbestände, nach Reanimation dieser Disziplin angesichts zunehmender Berührung mit Materialwissenschaft und nach umweltrelevanter (öffentlichkeitswirksamer) Sachkompetenz an jedem Hochschulort.

Die personelle Erneuerung der Hochschulen der neuen Bundesländer wird in den kommenden Jahren auch im Mittelbau auf natürlichem Wege zum Abschluss kommen. Die Neuberufen, denen in der Anfangsphase auch so manche Geduldsprobe abverlangt wurde, sind längst vollständig in die Fakultäten integriert (privat teilweise noch Pendler mit abnehmender Tendenz). Insoweit herrscht gesamtdeutsche Normalität. Zum Verständnis der lokalen Besonderheiten einer Hochschule Ost kann allerdings die Besinnung auf die turbulenten Neunziger im östlichen Teil des Vaterlands für einige weitere Jahre durchaus erhellend sein.

Peter Paufler, Dresden

 

(Schluss folgt)