Liebe DMG-Mitglieder,

in dieser zeitlichen Übergangsphase zwischen der alten und der neuen Satzung hat der Vorsitz der DMG ausnahmsweise zum 15.11.2000 gewechselt. Nachdem mich die Mitgliederversammlung 1999 in Wien zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt hatte, bin ich nun als Nachfolger von Friedrich Seifert in mein Amt eingeführt worden.

In Theaterkreisen würde man sagen: "This is going to be a tough act to follow". Fritz Seifert hat mit unglaublicher Energie, mit unendlicher Geduld und Hinwendung zu kleinsten Details sowie mit sachlicher Überzeugungskunst in kniffligen und strittigen Fragen dieser unserer Gesellschaft große Dienste erwiesen. Der engere Vorstand wird noch lange an die in kurzen Abständen heranrollende Armada von
e-mails denken, beginnend vorzugsweise um ca. 6:00 früh, auch samstags und sonntags. Zusammen mit unserem Schriftführer Stephan Hoernes hat er viele "verlorene Schäfchen" ausfindig gemacht und wieder in unsere Gesellschaft eingegliedert. Ich möchte an dieser Stelle nochmals ausdrücklich Herrn Seifert für sein außergewöhnliches Engagement danken. Er hat durch seine fordernde Kommunikationsbereitschaft die Diskussion in unserer Gesellschaft belebt.

Dank der bislang erfolgreich eingeführten vielen Neuerungen erlebe ich eine Zeit, die ich gerne mit dem Begriff Aufbruchstimmung charakterisieren würde. Wie bei jedem neuen Schuh kann es hier oder da zunächst ein bisschen drücken – ja, der eine oder die andere mag gelegentlich mit Wehmut an die alten Schuhe zurückdenken –, aber dem ansteckenden Elan von Renate Schumacher (Presse), Frank Brenker (home page) und Jürgen Glinnemann (FORUM) im Umgang mit der Öffentlichkeit kann man kaum entgehen. Die Projektgruppe "Mineralogie/Geowissenschaften in die Schulen", mit Gregor Markl am Steuer, gibt uns begründete Hoffnung, dass der Begriff "Geowissenschaften" – wie in anderen Ländern durchaus üblich – unseren zukünftigen Bürgern in unseren Schülern ein vertrauter Begriff werden wird.

Das "Aufbruchgefühl" kann ich z.Z. hautnah bestätigen. Während ich diese Zeilen schreibe, türmen sich neben mir über 500 Wahlumschläge, und jeden Tag kommen noch etliche dazu. Einige Kuverts sind mit ungewöhnlichen Briefmarken bestückt. Offensichtlich haben sich DMG-Mitglieder an der Wahl beteiligt, die nicht so ohne weiteres bei der Mitgliederversammlung hätten teilnehmen können, so wie ich bei den mineralogischen Gesellschaften USAs, Kanadas und Großbritanniens, deren Mitglied ich bin und deren Schicksal ich natürlich auch aufmerksam verfolge und mitbestimmen möchte. Die Briefwahl, eingeleitet unter dem Vorsitz von Hans-Adolf Seck und tatkräftig von unserem Schriftführer Stephan Hoernes vorbereitet, hat also mindestens das Fünf- bis Sechsfache der üblichen Mitgliederzahl zur aktiven Teilnahme motiviert. Sie ist per se schon ein internationales Signal einer Gesellschaft, die allein von der Mitgliederzahl zu den größten mineralogischen Gesellschaften der Welt zählt, diesen Anspruch aber m.E. noch mit mehr Selbstbewusstsein deutlicher untermauern könnte. Das EJM hat hier durch seine konstanten internationalen Erfolge in den letzen Jahren schon wesentliche Beiträge geliefert, kann aber nur ein Spiegelbild der rein wissenschaftlichen Aktivitäten der DMG sein.

Unsere neue Satzung hat eine Auswahl und Definition von Sektionen gefordert, die, so war mein Eindruck, sowohl dem Vorstand als auch interessierten Mitgliedern eine inhaltvolle Diskussion abverlangte. Man kann zwar stolz sein, dass die Mineralogie nachweislich zu den ältesten Naturwissenschaften überhaupt gehört, aber diese Tatsache allein wird in der heutigen Zeit keinen universitären Standort sichern, noch leider den einen oder anderen Kollegen in der Industrie daran hindern, seine mineralogische Herkunft zu verneinen und sich z.B. lieber als "Chemiker" bezeichnen zu wollen. Hier, meine ich, hat §1 der neuen Satzung eine überzeugende Standortbestimmung geliefert. Die Mineralogie wird klar und deutlich als die "materialbezogene Geowissenschaft" definiert. Sie ist objektbezogen und deshalb betont interdisziplinär. Sie verknüpft u.a. Physik, Chemie und Biologie mit den klassischen, oft auf wertvollen Erfahrungsgrundlagen basierenden Geowissenschaften, um das verzahnte Uhrwerk des Systems Erde zu durchleuchten und zu verstehen. Andererseits liefern natürliche Materialien und deren Studium nach wie vor so viele Strukturtemplate und Anregungen für erfolgversprechende eigenschaftsbezogene Weiterentwicklungen, dass die Angewandte und Technische Mineralogie zwanglos in das Gesamtschema einzufügen ist und die Klammer zu den Werkstoffwissenschaften darstellt. Dass eine materialbezogene Geowissenschaft beim Thema Umwelt zentral angesprochen wird, liegt auf der Hand. Ich würde mich allerdings sehr freuen, wenn die "Grundlagenforscher" und die "Angwandten" mehr aufeinander zugehen würden und mehr Verständnis für die besonderen Probleme und Bedürfnisse des jeweils anderen entwickeln könnten.

Es ist überaus interessant, dass die Wahl der vier Sektionen in der neuen Satzung durch eine vom Vorsitzenden Seifert vorgenommene Befragung der Mitglieder untermauert wird. Diese Umfrage ergab eine fast ausgewogene zahlenmäßige Balance zwischen den vier Sektionen als "erste Heimat". Die Zukunft wird zeigen, ob und wohin sich bestimmte Aktivitäten verlagern werden. Starre Grenzen gibt es nicht und Mehrfachnennungen sind erwünscht, wenn Sie demnächst nach Ihrer Zugehörigkeit zu Sektionen gefragt werden. Dies ist gut so, denn Schubladen werden von Menschen benannt und nicht von der Natur auserkoren. So hätte ich meine eigenen Tätigkeiten in meiner grauen nordamerikanischen Urzeit ohne zu zögern als "Geology" bezeichnet. Dennoch fühle ich mich als "Petrologe" in Deutschland ganz wohl, was aber nicht ausschließt, dass meine Forschungstätigkeit von manchen Kollegen als "Geochemie" und von anderen wiederum als "Kristallingeologie" bezeichnet wird. Tja, mancher "Kristallingeologe" wiederum hat meine experimentellen Ansätze schon in die Sektion "Chemie, Physik und Kristallographie der Minerale" eingeordnet. Diese Tatsachen empfinde ich nicht als verwirrend, sondern eher als äußerst positives Zeichen eines deutlich vernetzten und voneinander abhängigen Systems von mineralogischen Teildisziplinen. Wo die Tellerränder niedrig sind, ist es überhaupt nicht schwer darüber hinwegzublicken. Vermutlich wird es in Zukunft ein gesundes Positionieren und Konkurrieren zwischen Sektionen um aktuelle Themen geben, und die Mitglieder werden die aktivsten Sektionen mit ihrer Aufmerksamkeit belohnen. Arbeitskreise können kleineren Gruppierungen mit Themen von besonderer Tragweite und Bedeutung gerecht werden, und Projektgruppen stellen die "schnellen Eingreiftruppen" dar, die auf besonders aktuelle Zielrichtungen der materialbezogenen Geowissenschaften prompt und auch nachhaltig reagieren können. Es sind viele neue Möglichkeiten geschaffen worden. Wahrscheinlich werden nicht alle diese Ansätze die ferne Zukunft ohne Modifizierung erleben, aber ohne Flexibilität gibt es auch keine Zukunft für unsere Gesellschaft. Eine aktive Gesellschaft muss auch von den einzelnen Mitgliedern aktiv gewollt sein.

Liebe DMG-Mitglieder, ich glaube, daß wir z.Z. mit viel Optimismus in die Zukunft blicken können. Wir sollten versuchen, die Möglichkeiten der neuen Struktur umfassend auszuloten. Es wird sich lohnen.

Ich wünsche uns allen ein erfolgreiches und glückliches Neues Jahr.

Ihr

Walter Maresch

Vorsitzender