Geowissenschaftliche Inhalte im Gymnasial-Unterricht – Auf dem Weg zu einer fachübergreifenden naturwissenschaftlichen Schulbildung

Gregor Markl, Tübingen

Die TIMS-Studie (TIMSS)

Seit etwa zwei Jahren ist es hochoffiziell bekannt: Die deutschen Schüler sind hinsichtlich ihrer naturwissenschaftlich-mathematischen Grundlagen-Kenntnisse nur unterer Durchschnitt im internationalen Vergleich. So traurig dies ist, so wichtig war es doch, diese an den Universitäten durchaus schon wahrgenommene Tatsache auch durch die wissenschaftliche TIMS-Studie zu untermauern, die kein Kultusministerium als irrelevant oder voreingenommen abtun kann. Nur so konnte die öffentliche Diskussion erfolgversprechend angestoßen werden, an deren Ende – hoffentlich – eine substantielle Verbesserung, d.h. vor allem eine nicht nur emotionale, sondern auch stundenzahlmäßige Höherbewertung dieser Fächer in den Schulen stehen wird. Die für uns wichtigen TIMSS-Fakten sind (Presseinformation der Max-Planck-Gesellschaft von 1998, www.mpg.de/TIMSS.htm):

Die TIMSS-Autoren kommen zu folgendem aus meiner Sicht besonders deprimierenden Ergebnis: "Leistungsunterschiede zwischen den Ländern sind wohl in der die Schule tragenden Kultur zu suchen, der generell zu geringen Wertschätzung schulischen Lernens und der mangelnden Bereitschaft zu Anstrengung und zu spezifischen Unterstützungsleistungen sowie in der Gestaltung des Fachunterrichtes."

Drei Ansätze für die Einbindung der Geowissenschaften in den naturwissenschaftlichen Unterricht

Während wir als Fachgesellschaft wohl wenig unternehmen können (wohl aber als Lehrende, an Schulen wie an Universitäten), den ersten Teil dieser Feststellung, die "tragende Kultur", zu verändern, gibt es aus meiner Sicht drei Ansätze, die für die Gestaltung des Fachunterrichtes von sehr positivem Einfluss sein können und auf die wir als Fachgesellschaft hinarbeiten können. Diese drei Ansätze könnten dazu verhelfen, nicht nur die naturwissenschatlich-mathematische Bildung allgemein zu verbessern, sondern auch – und damit komme ich eigentlich zum uns betreffenden Kern dieser Gedankensammlung – die Geowissenschaften stärker in die Naturwissen-schaften an den Schulen einzubinden. Unter dem Begriff Geowissenschaften subsum-miere ich im Folgenden die naturwissenschaftlichen Fächer Mineralogie, Geologie und Paläontologie.

Der klassische naturwissenschaftliche Unterricht muss für alle Schüler wieder ein größeres Gewicht erhalten, das sich in höheren Stundenzahlen ausdrückt. Konkret halte ich für alle Schülerinnen und Schüler einen mindestens 2-stündigen Unterricht in jeder klassischen Naturwissenschaft (Physik, Chemie und Biologie) sowie in Informatik von Klasse 8 bis Klasse 11 für unverzichtbar, dazu mindestens 4 Wochenstunden für zwei verschiedene naturwissenschaftliche Fächer in der Oberstufe und 4 Wochenstunden Mathematik während der gesamten Schulzeit.

Der klassische Unterricht muß durch neue Unterrichtsformen wie z.B. Projektarbeiten, aktiv von den Schülern zu gestaltende Seminare und insbesondere durch den Einsatz von ans Internet angeschlossenen Computern ergänzt werden.

Ebenfalls zusätzlich muss ein naturwissenschaftliches Fach eingeführt werden, das die ansonsten so wohlgepflegten Grenzen zwischen Physik, Chemie und Biologie aufhebt und wirklich interdisziplinär Themen behandelt, die in allen oder zumindest mehreren Naturwissenschaften – wozu dann eben auch die Geowissenschaften gehören müssen – von Bedeutung sind. Baden-Württemberg geht hier mit dem gerade im Entstehen begriffenen Fach "Naturwissenschaft und Technik" mit gutem Beispiel voran.

Ich werde im Folgenden zu allen drei Punkten detaillierter Stellung nehmen und das aus meiner Sicht Notwendige und Machbare ansprechen.

Notwendiges und Machbares

Zu 1.: Das Zurückfahren der naturwissenschaftlich-mathematischen Unterrichtsstundenzahl in den letzten Jahrzehnten muss umgekehrt werden, um die Lehrer zu befähigen, die Grundlagen von Physik, Chemie, Biologie und Geowissenschaften adäquat zu vermitteln. Die bemängelte Gestaltung des Fachunterrichtes hat vielfach etwas damit zu tun, dass schlicht die wenige verbleibende Unterrichtszeit ohne Chancen auf Auflockerung durch zusätzliche Experimente oder durch selbstständiges Lernen an Computern mit Detailwissen vollgestopft werden muß. Ohne diese Grundlagen sind weder Punkt 2 oder 3 durchführbar, noch wird ein Schüler jemals das Gefühl bekommen, sich tatsächlich selbst ein Urteil über moderne naturwissenschaftliche Forschung zutrauen zu können. In einer Zeit der Überflutung mit unausgegorenen, häufig tendenziös aufgemachten und auf Verkaufswirksamkeit hin ausgewählten Presse-Meldungen über naturwissenschaftliche Forschung ist dies das A und O, das wir langfristig erreichen müssen: Nicht der einzelne Student, der vielleicht am Ende Geophysik oder Mikropaläontologie studiert, darf bei unseren Überlegungen im Vordergrund stehen, sondern wir müssen einen Großteil der Bevölkerung, zumindest der Abiturienten, wieder in die Lage versetzen, sich selbst ein eigenständiges Urteil über Grundlagen und Tragweite naturwissenschaftlich begründeten Wissens und über den die Natur verändernden und nutzenden Menschen zu bilden. Ein besser begründetes Urteilsvermögen wird unweigerlich zu mehr Nüchternheit in der Betrachtung durch moderne Forschung und Technik entstandener und nur durch sie beherrschbarer Probleme führen, und dieser Nährboden wird es sein, auf dem wir die Studenten, die künftigen Forscher und Lehrer der Zukunft, heranbilden können. Diese Argumentation ist natürlich langfristig angelegt, doch sie muss übergeordnet das Ziel sein, auf das wir als ein Teil der naturwissenschaftlichen Gemeinschaft hinarbeiten.

Zu 2. (neue Unterrichtsformen): Die neuen Unterrichtsformen sind von großer Bedeutung, da sie den Schülern in einer Zeit, wo diese ständig mit Informationen aus Radio, Fernsehen und Internet überflutet werden, praktisch vor Augen führen, wofür das Gelernte benötigt wird. Damit meine ich nicht, dass nur angewandte Naturwissenschaften hier Berücksichtigung finden sollen, denn auch Wissen, dass "nur" zum Verstehen beiträgt und nicht gleich in der durch ständiges Zitieren mittlerweile überstrapazierten Teflonpfanne landet, wird benötigt! In noch größerem Maße müssen solche Unterrichtsformen das Selbstvertrauen der Schüler stärken, so etwas tatsächlich auch selbst bewerkstelligen, ein Thema selbstständig erarbeiten und darstellen und eigene Erkenntnisse aus den gesammelten und durchdachten Erkenntnissen anderer gewinnen zu können. Gerade das ist es, was wir an den Hochschulen ganz besonders zu beklagen haben – und TIMSS hat es auch an Schulen unbestreitbar aufgezeigt: das mangelnde Selbstvertrauen, das leider insbesondere, aber nicht ausschließlich, bei Studentinnen zu beobachten ist, etwas Gelerntes zu übertragen und in anderem Kontext wieder korrekt und sogar weiterführend einzusetzen. Gelerntes wiederzugeben ist kein Problem, aber es in anderem Zusammenhang intelligent, d.h. problemlösend einzusetzen, das gelingt nur den allerwenigsten, und zwar nach meiner persönlichen Beobachtung nicht aus mangelnder Intelligenz, sondern zu überwiegenden Teilen aus der Unsicherheit heraus, dass man dabei ja etwas falsch machen könnte. Dann lässt man es lieber gleich bleiben. Der spielerische Umgang mit Versuch, Irrtum, neuem Versuch und Erfolg wird in der Schule schlicht nicht beigebracht, obwohl gerade dies die Neugier weckt und nur dies echte Erfolgserlebnisse beschert. Simples Wiederkäuen können wohl nur Kühe als Erfolgserlebnis empfinden. Zu den neuen Unterrichtsformen muß auch der selbstverständliche Einsatz von Computern gehören, und zwar nicht nur im Rahmen der Mathematik und eines eigenen Informatik-Unterrichtes, sondern ganz gezielt in allen Naturwissenschaften zum Anfertigen von Grafiken, zum Abrufen von Daten per Internet, zum Erstellen von Tabellen und Statistiken und zum Berechnen komplexer mathematischer Funktionen an realen Beispielen. Wenn ich vor kurzem las, dass bereits heute manche Schüler vor Erreichen des Abiturs Tausende von Mark dadurch verdienen, dass sie Computer-Animationen oder Internet-Seiten für andere erstellen, wenn ich höre, dass Gymnasial-Schüler sich schon im Alter von 16 Jahren darum bemühen, "freie Mitarbeiter"-Stellen bei Fernsehsendern oder Computerfirmen zu bekommen, dann stelle ich fest: Die heutigen Schüler sind beweglicher und bekommen ihre Informationen nur noch zu einem deutlich geringeren Teil aus der Schule als dies noch vor 15 Jahren der Fall war. Das heißt, der Unterricht muss auch eine Methoden-Kompetenz vermitteln, nicht nur pures Wissen, und das Kernstück jeglicher Methodenkompetenz heutzutage ist ein Computer mit Internet-Anschluss.

Zu 3. (zusätzliches naturwissenschaftliches Fach): Ein fachübergreifender Unterricht ist nun für die Geowissenschaften der interessanteste Punkt, denn einer der vielen geowissenschaftlichen Vorzüge besteht darin, dass wir "von Natur aus" fachübergreifend arbeiten müssen, um das von uns bearbeitete System Erde zu verstehen. Hinzu kommt, dass es gerade der interdisziplinäre Aspekt ist, der bei den Schülern Interesse für Naturwissenschaften wecken kann. Die Erkenntnis, dass es eben nicht ausreicht, nur eine einzige Naturwissenschaft (meistens Biologie) zu verstehen, um den naturwissenschaftlich-technischen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen, und das Bewusstsein, dass alle Wissensbausteine nötig und interessant sind, werden im heutigen Unterricht zu wenig vermittelt. Es gilt wie vorher, dass der Schüler eben den Wechsel vom "Ich bekomme etwas Abstraktes beigebracht, wovon andere Leute glauben, dass ich es irgendwann einmal brauchen könnte" zum "Das ist aber interessant, jetzt verstehe ich etwas, was ich immer schon wissen wollte" selbst erleben muss, um weiterhin für die Naturwissenschaften empfänglich zu sein. Die Geowissenschaften könnten in einem neuen Fach wie z.B. "Naturwissenschaft und Technik", das zur Zeit in Baden-Württemberg diskutiert wird, eine zentrale Rolle spielen, da in ihnen die mathematisch-physikalische, chemische und biowissenschaftliche Aspekte zusammengeführt werden. Thematisch könnte man ein solches Fach z.B. dergestalt aufbauen, dass zentrale Überbegriffe der Naturwissenschaften aus der Sicht der verschiedenen Fächer behandelt werden. Als Beispiel bieten sich Begriffe wie Struktur, Energie, Zeit, Härte, Geschwindigkeit, Naturbeobachtung, Farbe, Altern/Korrosion/Verwitterung, Ozeane, Wasser oder Entstehung des Lebens an. All diese Begriffe haben Komponenten von mindestens zwei, meist mehr Naturwissenschaften, die dann auf der Grundlage des in den klassischen Fächern vermittelten Wissens diskutiert und miteinander vernetzt werden können. Ich will einige wenige Beispiele geben, um ganz konkret die mögliche Beteiligung von Geowissenschaften im Schulunterricht deutlich zu machen.

"Naturbeobachtung"

Zunächst werde ich den Themenkomplex um "Naturbeobachtung" erläutern. Man vergisst es in den modernen, stark technisch-analytisch und reduktionistisch ausgerichteten Wissenschaften allzu leicht, dass die Wurzel all unserer Wissenschaften die genaue Naturbeobachtung war – von der Astronomie bis zur Zoologie. Nun könnte manch einer glauben, dass solch steinzeitliche Methoden wie "Geländearbeit" der Vergangenheit angehören und daher heute auch nicht mehr von Bedeutung sind. Zwei grundsätzliche Argumente sprechen aus meiner Sicht gegen eine solche Betrachtungsweise:

Zurück zum Thema: Die "Naturbeobachtung" könnte einen besonderen Platz in der Schule einnehmen, nämlich den eines echten "Outdoor"-Unterrichts. Die Verknüpfung von Gesteinsverwitterung, Bodenbildung, Tonmineralogie, Pflanzenwachstum, Photosynthese, Bewässerung und klimatischen Gegenbenheiten lässt sich vor Ort in der Umgebung jeder Schule (vielleicht mit Ausnahme von Innenstadtbezirken von Großstädten) direkt beobachten und unterrichten. Wiederum sind wichtige Bereiche von verschiedenen Naturwissenschaften betroffen und es wird ganz prinzipiell das Verständnis für natürliche Zusammenhänge gefördert (die heute so gerne zitierte "gesamtheitliche Systembetrachtung", die ich unbedingt auch in diesem Vortrag an den Mann bringen will).

"Strukturen"

Ein zweites Beispiel, das Thema "Strukturen", kann beispielsweise biologische Strukturen wie Proteine im Kleinen oder Blätter und Skelette im Größeren beinhalten. Um diese zu verstehen, benötigt man organische Chemie, insbesondere bei mikroskopischen Strukturen wie z.B. Proteinen, und von dort ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Kristallographie von sogenannten Bio-Mineralen und letztendlich auch von anorganischer Materie, d.h. zur Struktur von natürlichen Festkörpern, zur Mineralogie. Dass der Aufbau dieser Festkörper bedingt ist durch Ionengröße (anorganische Chemie) und Bindungskräfte (Physik) schließt den Bogen der gesamten Naturwissenschaften, die sich um diesen einen Zentralbegriff ranken. Wollte man dies wirklich extensiv auskosten, so könnte man auch die Paläontologie noch mit ins Spiel bringen, indem man die Entwicklungsgeschichte von Pflanzen z.B. anhand der Veränderung ihrer Blattstrukturen oder die Entwicklungsgeschichte von Tieren anhand der Veränderung ihrer Gehäuse und Skelette behandelt.

Die zwei Beispiele mögen belegen, dass die Geowissenschaften eine wichtige Rolle im fachübergreifenden Unterricht zu spielen in der Lage sind.

Computer im Unterricht

Ich betone auch an dieser Stelle noch einmal, dass der direkte Umgang mit dem Computer jeden wissenschaftlichen Unterricht begleiten muss, um ihn für heutige Probleme relevant und für heutige Schüler attraktiv zu machen. Die Vernetzung von Unterricht und Computer ist aus meiner Sicht die zentrale Aufgabe der nächsten Jahre und wird massive Veränderungen in Lehrplänen wie in Lehrmethoden mit sich bringen.

Fachübergreifender Unterricht: Nicht nur ein Problem für die Geowissenschaften

Bisher redete ich nur von Veränderungen, die direkt an der Schule greifen müssen. Dies ist natürlich nur die Hälfte der Wahrheit, und vermutlich sogar noch die einfacher zu verwirklichende Hälfte. Komplementär zu Veränderungen der Lehrpläne müssen nämlich auch die Lehrer, die diese Veränderungen tragen sollen, in die Lage dazu versetzt werden. In der heutigen Lehramtsausbildung wird den Lehrern – und das ist nicht ihre Schuld! – nicht die Kompetenz vermittelt, Zusammenhänge interdisziplinär darzustellen. Wie sollte dies auch geschehen, wenn Fachkombinationen beliebig gewählt werden können, unabhängig davon, ob sie nun irgendwie sinnvoll zusammenhängen oder nicht, und wenn der eigentlich wissensvermittelnde Teil des Studiums immer stärker zugunsten des pädagogischen Teils zusammengeschnitten wird. Denn lügen wir uns nicht in die Tasche: Fachübergreifender Unterricht ist keine primär pädagogische Frage, sondern vielmehr eine Frage der nötigen Kenntnisse über Zusammenhänge, also des Fachwissens auf einer größeren Breite als nur das eigene Fach betreffend. Das heißt, die Art der Lehrer-Ausbildung müßte sich, um modernen naturwissenschaftlichen Unterricht an Schulen anbieten zu können, grundsätzlich ändern. Für die Geowissenschaften besteht das primäre Problem allerdings darin, dass sie in den naturwissenschaftlichen Lehrplänen gar nicht vorkommen! Lediglich das Studienfach Geographie bzw. Erdkunde beinhaltete früher zumindest Grundzüge von Geologie und Mineralogie, die aber im Zuge der Stärkung des kultur-geographischen Anteiles sukzessive reduziert wurden und heute bei fast Null angekommen sind. Lediglich ein mageres, nach meiner eigenen Erfahrung wenig reizvolles Gesteinskunde-Praktikum ist in manchen Bundesländern noch davon übrig geblieben. Dieses Dilemma sehe ich als selbst mittelfristig am schwersten zu lösen an. Lehramtsstudiengänge für Geologie und/oder Mineralogie sind weder auf absehbare Sicht machbar noch sind sie wirklich wünschenswert. An andere Naturwissenschaften einzelne Geo-Veranstaltungen anzuhängen ist vermutlich ebenfalls praktisch nicht umsetzbar, und damit bleiben nur zwei Wege offen: die Stärkung der physischen Geographie MIT GEOWISSENSCHAFTEN in Studium und Unterricht und, zumindest kurzfristig wichtiger, das Angebot von gezielten Lehrer-Fortbildungsveranstaltungen, die den Vorteil haben, unmittelbar konkrete Vorschläge und Materialien für den Unterricht zu vermitteln und die auch noch die besonders für so etwas motivierten Lehrer erreichen.

Voreingenommener Experte gegen unbefangenen Unkundigen

An dieser Stelle sei kurz erläutert, warum aus meiner Sicht Geowissenschaften in der Schule stärker vertreten sein müssten. Natürlich bin ich selbst Geowissenschaftler, bin daher vermutlich voreingenommen und halte das, was mich interessiert, natürlich automatisch für besonders wichtig – für das Überleben der Menschheit im Allgemeinen und das Überleben des deutschen Bildungssystems im Besonderen. Aber dafür verstehe ich eben auch etwas davon: Besser ein voreingenommener Experte (der dies zugibt) als ein unbefangener Unkundiger. Wenn ich daher trotz dieser Voreingenommenheit versuche, nüchtern die tatsächliche Relevanz abzuschätzen, die Geowissenschaften heutzutage haben, so komme ich zu dem Schluss: Die Geowissenschaften werden entgegen ihrer globalen Bedeutung in den Curriculae vernachlässigt!

Sieben aktuelle geowissenschaftliche Forschungsbereiche – eine Auswahl

Ich nenne im Folgenden sieben "brand"-aktuelle Themenbereiche geowissenschaftlicher Forschung:

Selbstbewusstsein der Geowissenschaften

Niemand wird bestreiten, dass die gerade genannten Themen für unsere Zukunft relevant sind und dass sie in der Schule bestenfalls nur ansatzweise vermittelt werden können. Die Ungleichbehandlung der vier Naturwissenschaften (wobei ich die Geowissenschaften neben Physik, Chemie, Biologie als vierte Naturwissenschaft bezeichne) ist ein Phänomen, das besonders in Deutschland ausgeprägt ist und das keine rationale Begründung hat. Wir sollten und wir können selbstbewusst auf die Leistungen der Geowissenschaften verweisen, die im Allgemeininteresse liegen. Die angestrebte stärkere Beteiligung der Geowissenschaften in der schulischen Ausbildung wie auch in der öffentlichen Diskussion sollte nicht als ein Zugeständnis missverstanden werden, sondern entspricht unserer stetig wachsenden Rolle als Träger der Kompetenz für globale Systeme, eben für das "System Erde". Unsere Brückenfunktion zwischen den anderen drei "klassischen" Naturwissenschaften kann dem gesamten naturwissenschaftlichen Unterricht an Schulen dienlich sein.

Die Angebote der Deutschen Mineralogischen Gesellschaft (DMG)

Somit komme ich zum Schluss dazu, nicht nur über das Wünschenswerte, sondern auch über das Machbare zu sprechen, also über konkrete Schritte von unserer Seite, die bereits eingeleitet wurden oder demnächst eingeleitet werden. Es formierte sich inzwischen eine Projektgruppe mit dem Arbeitstitel "Mineralogie/Geowissenschaften in die Schulen" innerhalb der DMG, die sich mit dem oben nur kurz Gesagten im Detail auseinandersetzt: Die DMG wird bei den Kultusministerien der Länder ihre Gestaltungsvorschläge für einen modernen naturwissenschaftlichen Unterricht einbringen und insbesondere auf die Unterrepräsentanz der Geowissenschaften hinweisen. Sie wird anbieten, als beratende Organisation bei der Ausarbeitung von künftigen naturwissenschaftlichen Lehrplänen und Studiengängen gehört zu werden. Diese langfristigen Aktionen tragen natürlich nicht zur Linderung des derzeit drängendsten Problems bei, nämlich der Studentenknappheit in den Geowissenschaften und speziell der Mineralogie. Daher bieten wir den Kultusbehörden und den Landesbehörden für Lehrerfortbildung an, Fortbildungsveranstaltungen zu mineralogischen Themen abzuhalten. Dankenswerterweise haben sich viele Kollegen bereit erklärt, an deren Vorbereitung mitzuwirken. Wir werden zu folgenden Themen jeweils eine eintägige Veranstaltung anbieten, d.h. kommentierte Folien und einen Einführungstext ausarbeiten und im Internet auf der Homepage der DMG (http://www.dmg.uni-koeln.de)verfügbar halten, sodass jeder interessierte Lehrer und jeder Mineraloge sich diese Unterlagen herunterladen, auf Folien ziehen und damit eine Fortbildungsveranstaltung durchführen oder sich selbst fortbilden kann. Die Themen, die die Projektgruppe für geeignet hält, das gesamte Spektrum der Mineralogie abzudecken, sind:

Umweltmineralogie Ton im täglichen Leben

Altersbestimmung Baustoffe und Verwitterung

Zeolithe Mineralogie und Ökonomie

naturwiss. Geländearbeit Die junge Erde

Vulkanologie Planetologie

Diamant und Erdmantel Material und Eigenschaften

Edelsteine Biokristalle

Plattentektonik und Magmatismus Keramik und Feuerfeste Materialien

Adressaten des DMG-Angebots: Lehrer, MNU, ...

Eine Gruppe von Lehrern, der Förderverein MNU, eine Akademie oder eine Landesanstalt für Lehrerfortbildung kann eine geowissenschaftliche Fortbildung veranstalten und besonders interessante Themen aus obiger Liste dafür zusammenstellen. Einmal im Netz verfügbar, sind diese Materialien natürlich auch für vielfältige andere Aufgaben nützlich einsetzbar. Diese sehr praxisnah (im Sinne von: für die Lehrer unkompliziert in den Unterricht integrierbar) konzipierten Veranstaltungen sind hoffentlich in der Lage, Interesse für die Geowissenschaften bei den Multiplikatoren zu wecken, die dann in die Lage versetzt werden, dieses Interesse auch weiterzugeben. Nur so können wir mittelfristig hoffen, Schüler für eines unserer Fächer zu begeistern. In diesem Zusammenhang werden in Zusammenarbeit mit dem Förderverein MNU auch Listen mit Ansprechpartnern an mineralogischen Instituten zusammengestellt, sodass interessierte Lehrer vor Ort Informationen erhalten oder z.B. eine Institutsführung, Mitarbeit in einer Projektwoche o.ä. bekommen können. In Tübingen läuft z.B. gerade die Vorbereitung eines NatWork-Projektes mit Unterstützung der Robert-Bosch-Stiftung an, das in einem Netzwerk Schüler, Lehrer und Hochschullehrer in einem geowissenschftlichen Projekt zusammenbringen soll. In Göttingen ist das XLAB, ein "Experimentallabor für junge Leute" unter Beteiligung der dortigen Geowissenschaften anggelaufen, das ein ähnliches Ziel verfolgt. In der Zukunft sollte dann auch darüber nachgedacht werden, unsere DMG-Aktivitäten mit den anderen Fachgesellschaften der Geologen und Kristallographen zu koordinieren und eventuell unter das Dach der Alfred-Wegener-Stiftung als der geowissenschaftlichen Dach-Organisation zu stellen, um größeren Einfluß in der Öffentlichkeit zu erhalten. Dafür begabte und daran interessierte Mineralogen sollten sich auch vermehrt in den Medien äußern, insbesondere zu aktuellen Themen, um unsere Fächer vermehrt ins Bewusstsein der Bevölkerung zu bringen.

Zusammenfassung

 

(Anm. der Red.: Prof. Dr. G. Markl ist Leiter der DMG-Projektgruppe "Mineralogie/Geowissenschaften in die Schule"; Aktuelles auf der DMG-Homepage, http://www.dmg.uni-koeln.de)