Geowissenschaften publik machen – Chancen in einem modernen Unterricht am Gymnasium

Was erwarten die Schulen von den Geowissenschaften?

Matthias Kremer, Tuttlingen

Sehr geehrte Damen und Herren,

für die Einladung, die freundliche Begrüßung und überhaupt die Möglichkeit, hier sprechen zu dürfen, bedanke ich mich sehr herzlich. Gleichzeitig darf ich Ihnen die Grüße des Vorsitzenden des Deutschen Vereins zur Förderung des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts (kurz: Förderverein MNU), Herrn Ober-studiendirektor Asselborn, ausrichten.

 

Unser gemeinsames Anliegen ist die Bildung der jungen Menschen. Sie sollen dadurch zur kritischen Teilnahme am Leben befähigt werden und die Chance erhalten, ein erfülltes Leben zu führen. Uns interessiert dabei speziell die Rolle der Naturwissenschaften. Ich möchte Ihnen zunächst über den Stellenwert der Naturwissenschaften am Gymnasium berichten, dann das Unterrichtsgeschehen und seinen derzeitigen Wandel darlegen und daraus schließlich Wünsche und Erwartungen für die nächste Zukunft ableiten.

Stellenwert der Naturwissenschaften

Zunächst darf ich Ihnen zeigen, welche Unterrichtsstunden ein baden-württembergischer Gymnasiast zu absolvieren hat, bevor er sich in der Oberstufe für die Kurse zu entscheiden hat. Entscheidet er sich in Kl. 9 für den naturwissenschaftlichen Zug, wird er 15,4 % seiner Zeit den Naturwissenschaften widmen, wählt er den sprachlichen Zug, sind es nur 11,36 %. In einem math-nat Gymnasium des Jahres 1900 waren es bereits 14 %. Somit haben wir in den letzten hundert Jahren eigentlich keine Weiterentwicklung zu stärkerer Betonung von Naturwissenschaft und Technik zu verzeichnen.

Die heutige Stundentafel stellt dabei schon wieder einen Schritt zur Stärkung der Naturwissenschaften dar, der Ende der Neunziger Jahre vollzogen wurde. Trotzdem sind weitere umfangreiche Änderungen in der Mittel- und Oberstufe geplant. Unbeabsichtigt hat man nämlich eine Negativauslese für die Naturwissenschaften provoziert und überlegt zur Zeit, wie dies korrigiert werden kann.

Wie sieht nun der Unterricht in den Naturwissenschaften aus?

Die Unterrichtsgestaltung im Wandel

Es gibt, das sehe ich als Ausbilder für Chemielehrer immer wieder, guten, anspruchsvollen und interessanten, begeisternden Chemieunterricht. Aber das ist wohl nicht die ganze Wahrheit. In einem Zeitungsbeitrag, der letzten Monat erschienen ist, versucht eine junge Autorin ihren Lesern einen Mitschüler zu beschreiben, den sie unsäglich langweilig und kein bisschen attraktiv findet. Um sicher zu sein, dass ihre Leser verstehen, was sie meint, wählt sie folgende Formulierung: "Max ist so interessant wie eine Chemiestunde."

Dieses Indiz für das Ansehen des naturwissenschaftlichen Unterrichts entspricht den Ergebnissen der Lehr- und Lernforschung: Unser Unterricht orientiert sich und so sind auch die meisten Lehrpläne aufgebaut, an der Systematik unseres Faches.

Im Kopf haben wir die Vorstellung vom Bauen einer Mauer, wenn wir versuchen, Wissen in den Köpfen der Schüler zu platzieren.

Diese Vorstellung vom Lernen ist schlicht falsch. Gelernt wird dann, wenn Neues mit bereits Bekanntem verknüpft werden kann. Anstelle des Bildes von der Mauer tritt die Vorstellung vom Knüpfen eines Netzes. Das heißt, strukturgebendes Prinzip für den Unterrichtsaufbau kann nicht allein die Fachsystematik sein, dazutreten muss ein Kontext, der für die Schüler sinnstiftend wirkt. Diese beiden strukturierenden Prinzipien zu verbinden ist derzeit die große Aufgabe der Fachdidaktik.

Einschub MNU

Der Förderverein MNU, als dessen Vertreter ich hier spreche, besteht aus 7- bis 8-tausend Lehrern, die Mathematik oder Naturwissenschaften unterrichten. Wir veranstalten regelmäßig Tagungen, bundesweit oder in unseren Landesverbänden, in denen die Weiterentwicklung des Unterrichts unserer Fächer thematisiert wird. Außerdem geben wir eine unter Lehrern viel gelesene Zeitschrift heraus und versuchen durch Stellungnahmen, Papiere und Gespräche politischen Druck aufzubauen. MNU ist der einzige bundesweite Verband, der für alle Naturwissenschaften spricht. Mehr über uns finden Sie im Internet unter "mnu.de"

Forderung nach fachübergreifenden Kontexten

Bei der letzten Tagung zur Erarbeitung von Empfehlungen zur Gestaltung von Chemielehrplänen spielte das eben Gesagte eine große Rolle. Wir formulierten dort: "Ein Lehrplan muss sich einem pragmatischen Konstruktivismus verpflichtet wissen. Dabei wird davon ausgegangen, dass Lernen ein aktiver Prozess ist, in dem Schülerinnen und Schüler Neues in vorhandene Strukturen integrieren."

[...]

Die Verknüpfung vorhandener Strukturen mit dem Anliegen der Fachwissenschaft. über Leitthemen ist Aufgabe der Lehrer. Hieran muss gearbeitet werden, denn im Studium erfahren wir in der Regel nichts über Müll oder Werkstoffe am Bau usw. Auch Neuentwicklungen wie die Brennstoffzelle sind einem Chemielehrer nicht ohne weiteres vertraut, wenn es über die ganz allgemeinen Grundlagen hinausgeht.

Es ist jedermann einsichtig, dass vorhandene Strukturen nicht an Fächergrenzen gebunden sind. Deshalb ist der Unterricht in Zukunft in immer größerem Maße fächerübergreifend.

Was wir in der Schule also dringend brauchen, sind interessante Kontexte, Themen, die die Schüler ansprechen, die fächerübergreifend sind und die das Erarbeiten von fachwissenschaftlichen Inhalten ermöglichen.

Das ist noch nicht alles.

Forderung nach Methodenvielfalt

Der Unterricht muss in Zukunft der Tatsache Rechnung tragen, dass es sehr unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Lernweisen gibt. Der erzwungene Gleichschritt im Frontalunterricht als vorherrschende Methode hat ausgedient. Die Schüler müssen sich ihren Lernstoff individuell erarbeiten können. Im bereits zitierten MNU-Papier heißt es dazu:

"Lernen wird als ein selbstständig zu vollziehender Prozess [...] verstanden, bei dem Wissen, Inhalte und Fähigkeiten nicht absorbiert, sondern konstruiert werden."

Der Lehrer vermittelt nicht den Stoff, sondern vermittelt zwischen Schüler und Stoff.

Solche Methoden sind natürlich heute schon möglich, ich erinnere nur an die Projekttage, bei denen ich in der Regel höchst motivierte junge Menschen beobachten kann. Wenn jemand befürchtet, die Fachsystematik komme bei diesen Methoden zu kurz, so kann man dem entgegen halten: Auch durch den lockeren Umgang mit Fachbegriffen, die neu sind, aber zum Verständnis gebraucht werden, kann man sinnvoll lernen. Dies ist etwa wie beim Erlernen der Muttersprache. Mein Kollege am Seminar behauptet: "Physik kann man lernen wie die Muttersprache."

Die oben genannte Forderung wird somit ergänzt: Wir Lehrer brauchen einen Background, damit wir Erfahrungsmöglichkeiten bereitstellen können und Material, mit dem die Schüler selbstständig umgehen können.

Damit bin ich bei einem dritten Punkt:

Forderung nach Änderungen der Lehreraus- und Weiterbildung

Die Aus- und Weiterbildung der Lehrer muss geändert werden. MNU hat dazu kürzlich ein Papier verfasst, in dem es heißt: " ... ernsthafte Wertschätzung der Lehrerbildung schafft langfristig gesehen die Basis für das Gewinnen des wissenschaftlichen Nachwuchses und damit für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes."

Fachdidaktik muss grundsätzlich einen höheren Stellenwert bekommen. Fachübergreifendes muss schon im Studium eine Rolle spielen. Angebote der Hochschulen zur Lehrerfortbildung müssen unterstützt werden.

Somit darf ich meine Erwartungen und Wünsche kurz zusammenfassen:

Wünsche und Erwartungen

1. Themenvorschläge

2. Material

zur Erweiterung des Backgrounds für Lehrer
zum selbstständigen Erarbeiten durch Schüler

3. Lehrerfortbildungsmaßnahmen dazu

4. Unterstützung bei der Stärkung und
Modernisierung des naturwissenschaftlichen Unterrichts
Viel Zeit für diese Entwicklungen haben wir nicht. Die skizzierten Veränderungen
schlagen sich gerade nieder in den Überlegungen zu einem neuen Hauptfach "Naturwissenschaft und Technik",
das in Baden-Württemberg alternativ zur dritten Fremdsprache zur Wahl stehen soll.

Schluss

Gerade als ich in Überlegungen zu Unterrichtseinheiten zu diesem neuen Fach steckte, kam die Einladung der DMG an den Förderverein MNU, an einer Vorstandssitzung teilzunehmen. Ich wurde als Chemiker hingeschickt und fand dort nicht nur eine überaus freundliche Aufnahme, sondern für meine Darlegungen zur Situation des Unterrichts auch lauter offene Ohren.

Und dann ging es los: Ich habe vor allem dem Vorsitzenden Prof. Seifert zu danken für seine Vehemenz und Tatkraft, mit der er ein Projekt angestoßen hat, über das Sie nun von Prof. Markl, der die Koordination übernommen hat, Genaueres erfahren werden.

(Anm. der Red.: Oberstudienrat M. Kremer ist Vertreter des Faches Chemie im Bundesvorstand des Fördervereins MNU (http://www.mnu.de); vgl. FORUM Nr. 79, Juli 2000, S. 29)