Geowissenschaftliche Studienlandschaft im Wandel


Die Kommission für Hochschulfragen befragt die Hochschulen
Die in Deutschland bisher übliche institutionelle akademische Trennung der Erdwissenschaften in Geologie/Paläontologie, Mineralogie und Geophysik (und nicht zu vergessen Physische Geographie, Ozeanographie, Meteorologie, Klimatologie, Geoökologie...) ist einer adäquaten Ausbildung hinderlich geworden: Alle diese Wissenschaften wollen heute die Erde als System verstehen, und auch die berufliche Tätigkeit der Geowissenschaftler erfordert in der Regel Kommunikationsfähigkeit und sattelfesten Umgang mit Techniken, die die Grenzen der alten Teildisziplinen sprengen. Der enorme Rückgang der studentischen Nachfrage an naturwissenschaftlicher Ausbildung tut ihr Übriges, so dass sich kleine Fächer zu größeren Interessenblöcken zusammenfinden müssen. Als weiteren kulturellen Wandel erleben wir die Aufhebung der nationalen Begrenzungen des Denkens und Handelns, die in vergangenen Jahrhunderten geschaffen wurden. Die Universitäten agieren und reagieren mit der Schaffung neuer Ausbildungsstrukturen, die die internationale und interdisziplinäre Durchlässigkeit verbessern sollen. Ein wichtiger Aspekt der hierdurch entstehenden gestuften Studiengänge mit den B.Sc. (Bakkalaureus Scientiae, Bachelor of Science)- und M.Sc. (Magister Scientiae, Master of Science)-Abschnitten ist die Vermeidung unnötig langer zeitlicher Bindungen in der Ausbildung.
In Bezug auf die Geowissenschaften kommen also mehrere, aber verwandte, Reformbestrebungen zusammen. Nur für die Diplomstudiengänge existiert noch das nationale Ordnungsprinzip, nämlich die von der Hochschulrektorenkonferenz erstellten Rahmenprüfungsordnungen. Für eine europäische oder gar weiterreichende Ordnung fehlt wie üblich die reale Exekutivkraft der berufenen Debattierkreise. Die Gestaltung der B.Sc./M.Sc.Studienprogramme obliegt der Vernunft und der Freiheit der Wissenschaft.
Die neue Rahmenprüfungsordnung für den Diplomstudiengang Geowissenschaften
Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat in ihrer Sitzung vom 3. Juli 2001 die neue Rahmenprüfungsordnung für den Reformstudiengang Geowissenschaften behandelt und dem Hochschulausschuss der Kultusministerkonferenz (KMK) zur abschließenden Beschlussfassung vorgelegt. Die Rahmenprüfungsordnung war bis zum Redaktionsschluss des DMG-FORUMs jedoch nicht endgültig verabschiedet.
Neben der Zusammenführung der ehemals getrennten Disziplinen Geologie, Mineralogie und Geophysik zu einem Studiengang wird die Ordnung folgende Neuerungen enthalten:
- Der akademische Abschlussgrad nennt sich "Diplom-Geowissenschaftler" bzw. "DiplomGeowissenschaftlerin" und in begründeten Ausnahmefällen "Diplom-Ingenieur" bzw. "Diplom-Ingenieurin" - ggf. jeweils mit Angabe der Fachrichtung. Diplom-MineralogInnen, Diplom-GeologInnen und Diplom-GeophysikerInnen soll es dem Namen nach nicht mehr geben.
- Die Regelstudienzeit ist 10 Semester.
- Höchstens 160 SWS sowie bis zu 80 Tage betreute Praxiszeiten nach Maßgabe der Hochschulprüfungsordnungen soll das Studium in Anspruch nehmen.
- Die Diplom-Vorprüfung erfolgt in (1) Geowissenschaften, (2) Physik, (3) Chemie, (4) Mathematik/Informatik und fakultativ einem zusätzlichen fünften Fach.
- Die Diplom-Prüfung erfolgt in (1) Geowissenschaften, (2) Geologie oder Geophysik oder Mineralogie, (3) einem weiteren geowissenschaftlichen Fach und (4) einem mathematischen, naturwissenschaftlichen oder ingenieurwissenschaftlichen Fach.
- Die Diplomarbeit soll 6 Monate bzw. bei experimenteller Aufgabenstellung höchstens 9 Monate dauern.
- Das Diplom-Zeugnis wird durch ein "Diploma-Supplement" ergänzt. Das "Diploma Supplement" gibt in einer standardisierten englischsprachigen Form ergänzende Informationen über Studieninhalte, Studienverlauf, die mit dem Abschluss erworbenen akademischen und beruflichen Qualifikationen und über die verleihende Hochschule. Dies soll die Anerkennung und angemessene Bewertung deutscher Abschlüsse und Grade im Ausland stärken. Innerhalb Deutschlands soll das "Diploma Supplement" auch dazu dienen, Inhalte und Qualifikationen transparent zu machen.
Es bleibt also bei den disziplinenbezogenen Prüfungsfächern. Modularisierung und Interdisziplinarität sind ebensogut möglich wie im alten Diplom-System. Die Ordnung lässt den Universitäten Raum für einen gesunden Artenreichtum geowissenschaftlicher Studiengänge. Eine deutliche Profilierung des Diplomabschlusses in etablierten Spezialgebieten, etwa wie Kristallographie, Paläontologie, Geochemie oder Angewandte Geowissenschaften scheint nach dieser neuen Ordnung dagegen nur eingeschränkt als sogenanntes "drittes geowissenschaftliches Fach" möglich.
Bakkalaureus/Bachelor und Magister/Master-Studiengänge
Nach den Verlautbarungen und Maßnahmen der HRK werden gestufte Studiengänge mit den Abschlüssen Bakkalaureus Scientiae/Bachelor of Science (B.Sc.) und Magister Scientiae/Master of Science (M.Sc.) nicht durch die Ministerien sondern durch Akkreditierungsagenturen geprüft und "akkreditiert" werden. Aus diesem Grund entfallen in der neuen Rahmenprüfungsordnung des Reformstudienganges Geowissenschaften jegliche Regelungen bezüglich des B.Sc.- und M.Sc.-Grades. Dies wiederum erlaubt eine extreme Detailvielfalt in den geowissenschaftlichen Studiengängen mit gestuften Abschlüssen an den jeweiligen Universitäten.
Die HRK setzte einen Akkreditierungsrat ein, der seinerseits die Akkreditierungsagenturen zertifiziert. Ziel der Akkreditierung ist die Qualitätssicherung in Lehre und Studium durch die Feststellung von Mindeststandards und die Herstellung von Transparenz. Informationen über und die Kriterien der Akkreditierungsverfahren sind bei www.hrk.de und www.akkreditierungsrat.de nachzulesen. Man denkt offenbar auch an ein Peer-Review-Verfahren. Die Kosten der Verfahren zur Akkreditierung von Agenturen bzw. Studiengängen tragen die Antragsteller, d.h. die jeweiligen Universitäten. Die anfallenden Kosten werden auf ca. 15.000 DM geschätzt. Mit diesen Mitteln sollen die Aufwändungen für die Geschäftsführung der Agenturen gedeckt, aber keine Gewinne erwirtschaftet werden. Auch diverse Verlautbarungen europäischer Gremien über das Bildungssystem sind über die HRK erhältlich.
Einige Akkreditierungsagenturen existieren bereits. Von diesen ist die "Akkreditierungsagentur für die Studiengänge Chemie, Biochemie und Chemieingenieurwesen an Universitäten und Fachhochschulen" bislang die fachlich den Geowissenschaften am nächsten stehende Agentur. Von den Ländern hat bisher nur Niedersachsen eine landeseigene Agentur. Die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) entwickelt auch eine Initiative zur Einrichtung einer Akkreditierungsagentur für mathematisch-naturwissenschaftliche Studiengänge und hat die Geowissenschaften zur Teilnahme aufgerufen. Die GDCh Initiative hat insbesondere zum Ziel, die Entscheidungen über Lehre und Studium in den betreffenden Fächern mit Fachkompetenz zu treffen und dem allgemein befürchteten Zugriff von kommerziellen oder politischen Interessenten zuvorzukommen. Der Schulterschluss zwischen den Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik soll dabei die Kosten der einzelnen Akkreditierungsverfahren minimieren.
Entwicklung der Studienstruktur in den Geowissenschaften in Deutschland
Die Kommission für Hochschulfragen der DMG verschickte Anfang Juni 2001 einen Fragebogen zur Erhebung der Entwicklung der Studienstruktur in den Geowissenschaften an alle Universitätsfakultäten mit geowissenschaftlichen Studiengängen in Deutschland. Ziel der Umfrage war die Erörterung, welche geowissenschaftlichen Studiengänge existieren und welche Abschlüsse dort erworben werden können.
Die nachfolgende Tabelle nennt Standorte mit neuen Studienstrukturen, die über ein gemeinsames Vordiplom in Geowissenschaften hinausgehen. In Klammern sind die akademischen Grade mit Semestern bis zum Abschluss angegeben. Bei den M.Sc. Studiengängen bezieht sich die Zahl auf die Zeit nach dem Einstieg auf der Basis eines B. Sc. Abschlusses oder als äquivalent angesehener Qualifikationen. Nicht aufgeführt sind die Standorte, die bisher bei den klassischen Diplom-Abschlüssen Dipl.-Min., Dipl.-Geol. und Dipl.-Geophys. bleiben, und solche Standorte, von denen wir noch keine konkreten Rückmeldungen über die neuen Studienstrukturen besitzen. Obwohl das Bild wegen des mangelnden Rücklaufs der Fragebögen sehr lückenhaft ist, ist eines klar zu sehen: Artenvielfalt.

Bochum Geowissenschaften (B.Sc.: 6, M.Sc.: 4)

Bremen Geowissenschaften (Dipl.-Geowiss.: 10, aufbauend auf B.Sc.: 6)
sowie Mineralogie (Dipl.-Min.: 10, aufbauend auf Geowiss. B.Sc.: 6)

Darmstadt Angewandte Geowissenschaften (Dipl.-Ing.: 9)

Göttingen Geowissenschaften (Dipl.-Geowiss.: 10, aufbauend auf B. Sc.:6)

Greifswald B.Sc. und M.Sc. Abschlüsse in Vorbereitung

Halle Angewandte Geowissenschaften (B.Sc.: 6, M.Sc.: 3)
(Dipl. Mineralogie und Geologie bleiben mit Vordiplom bestehen)

Hannover Geowissenschaften (B.Sc.: 6, Dipl.-Geowiss.: 10)

Kiel Angewandte Geophysik (B.Sc.: 6)
Coastal Geosciences and Engineering (M.Sc.: 3)

Münster Geowissenschaften (B.Sc.: 6, M.Sc.: 4)

Stuttgart Technische Geowissenschaften (Dipl.-Geowiss.: 9)

TU Berlin Geoingenieurwissenschaften und Angew. Geowissenschaften
(Dipl.-Geowiss. oder Dipl.-Ing., 9)

Tübingen Geowissenschaften (Dipl.-Geowiss.: 9 aufbauend auf B.Sc.: 6)
Applied Environmental Geosciences (M.Sc.: 4)
Tropical Hydrogeology (M.Sc.: 3)

Der Vergleich lässt deutlich werden, dass die meisten "reformierten" Standorte einen B.Sc.-Abschluss in einem Diplom-Studiengang integriert haben. Von diesem Modell hat sich die Rahmenordnung für die Diplomprüfung allerdings leider entfernt, nachdem frühere Entwürfe für diese Ordnung gerade die Einführung dieses Modells vielerorts inspirierten. Vor den inzwischen geschaffenen Tatsachen, d.h. rechtsgültigen Prüfungs- und Studienordnungen, erscheint die Vorstellung, die die grundständigen Studiengänge schlicht ersetzenden B.Sc. Studiengänge in Zukunft durch Akkreditierungsagenturen prüfen zu lassen, Diplom-Studiengänge aber auch in Zukunft nicht, weder logisch noch vom Arbeitsaufwand her gerechtfertigt. Etwas anderes wäre dabei eine internationale Akkreditierung, die allein einen Qualitätsvergleich von B.Sc.-Abschlüssen weltweit herstellen könnte. In einigen Prüfungs- bzw. Studienordnungen wird der Bachelor-Abschluss als berufsbefähigend eingestuft, in anderen dagegen nicht, und dies, obwohl sich die Inhalte meist augenscheinlich kaum unterscheiden.
Unter dem Begriff Master of Science firmieren sowohl Ersatz-Modelle für das grundständige Diplom mit seinen Vertiefungsrichtungen (Modell Nordrhein-Westfalen), als auch spezialisierte Kursprogramme, die, zumeist in englischer Sprache, zusätzlich zu einem grundständigen Studienprogramm mit Diplomabschluss bzw. dazu analogen M.Sc.-Abschluss angeboten werden (z.B. M.Sc.-Abschluss Coastal Geosciences and Engineering in Kiel). Die Regelstudiendauer für eine/n StudienanfängerIn bis zu einem Diplom- oder Masterabschluss streut zwischen 9 und 10 Semestern ohne übergeordnete Regel. In Zukunft werden also die akademischen und privaten Arbeitgeber umso mehr per Einzelfallprüfung entscheiden müssen, ob die Qualität der Ausbildung ihrer Stellenbewerber den Vorstellungen des Arbeitgebers entspricht. Die Verfahren der internationalen juristischen Anerkennung von Titeln und Abschlüssen werden in Zukunft noch problemgeladener sein als bisher.
Die Kommission für Hochschulfragen bittet alle KollegInnen von den Standorten, die uns Ihre Studienstruktur bzw. ihre diesbezüglichen konkreten Vorhaben noch nicht mitgeteilt haben, dies noch zu tun. Die Auskünfte der Homepages der Institute sind oft unvollständig oder verwirrend. Der Fragenkatalog wurde Anfang Juni 2001 an Ihr Dekanat verschickt und kann auch elektronisch von http://homepage.ruhr-uni-bochum.de/wolfgang.schmahl/DMG bezogen werden.


Für die Kommission für Hochschulfragen der Deutschen Mineralogischen Gesellschaft
Wolfgang Schmahl (Bochum), Astrid Holzheid (Münster)