Mineralogie - quo vadis?


Worte eines großen Vorsitzenden sind immer etwas Besonderes und sicherlich Wert, dass man über sie nachdenkt. Für mich war der Anlass dazu ein Rundbrief des DMG-Vorsitzenden Herbert Palme im DMG-Diskussionsforum (DMG-Diskussionsforum@uni-koeln.de) vom 13. Februar 2003 und insbesondere der Satz: “Bei der Vorstandssitzung wurde auch angedacht, ob die DMG mit den geologischen Gesellschaften eine gemeinsame Gesellschaft bilden sollte.” (Zitat Ende)

“Otto Normalmineraloge” hat in den letzten Jahren schon einige “Verbesserungen” hinnehmen müssen, die alle mit großartigen Erwartungen verknüpft wurden und auf deren überzeugende Verwirklichung er aber immer noch wartet.

Beginnen wir mit dem gemeinsamen Grundstudium aller Fächer der Geowissenschaften, von dem man sich erhoffte, mehr Studenten im zweiten Studienabschnitt für ein spezialisiertes Mineralogiestudium interessieren zu können. Dafür nahm man vielerorts verminderte Lehrinhalte in Physik, Chemie und Mathematik in Kauf. Nachdem dieses Modell an vielen Standorten seit mehreren Jahren in Kraft ist, hat es sich gezeigt, dass durch diese Maßnahme die Zahl der echten Mineralogiestudenten nicht wesentlich gestiegen ist. An einigen Universitäten ist eher das Gegenteil der Fall. Es mag sein, dass es gelungen ist, ein paar mehr Geologiestudenten für eine Diplomarbeit in der Petrologie, Geochemie oder Lagerstättenkunde zu interessieren. Dem betreffenden Hochschullehrer ist das in vielen Fällen recht, wenn nur gewisse Arbeiten in einem Forschungsprojekt erledigt werden. Dem Geologiestudenten ist das auch recht. Was soll er sich mit z.B. physikalischer Chemie, inklusive Thermodynamik und Kinetik, sowie Mineralphysik oder Kristallchemie rumplagen, wenn man auch so in der Petrologie oder der Geochemie reüssieren kann. Andererseits ermuntert das auch nicht gerade zu einem Mineralogiestudium, in dem diese “Hürden” eingebaut sind, deren Kenntnisse man aber braucht, um international konkurrenzfähige Forschung machen zu können. Jedenfalls ist es nach wie vor so, dass sich nur eine Minderheit (etwa 15 Prozent) der an einem Studium der geowissenschaftlichen Fächer interessierten Abiturienten für ein Mineralogiestudium (Schwerpunkt Kristallographie oder Petrologie) entscheidet. Einen Studenten aus der Chemie oder Physik zu begeistern, Mineralogie zu studieren, dürfte unter diesen Umständen schwieriger geworden sein.

Die Krönung dieser Entwicklung war die Einführung des Diplom-Geowissenschaftlers(in), von dem keiner so richtig weiß, was er wirklich kann. Es dauerte ca. 30 Jahre, bis der Diplom-Mineraloge(in) in der Industrie und Institutionen des öffentlichen Dienstes allgemein Anerkennung gefunden hat, und dass alte Klischee-Vorstellungen überwunden worden sind. (In der DDR gab es einen Diplom-Kristallographen). Nun hat sich der Diplom-Mineraloge(in) etabliert, und Diplom-Mineralogen(innen) sind in vielen Firmen geschätzte Mitarbeiter oder Vorgesetzte. Die meisten Absolventen eines Mineralogiestudiums bekommen einen guten Job. Ob es sinnvoll ist, gerade zu diesem Zeitpunkt den Diplom-Mineralogen(in) wieder abzuschaffen, das wage ich ehrlich zu bezweifeln. Abgesehen davon ist es in der heutigen hochschulpolitischen Landschaft doch so, dass die Aufgabe eines eigenen Studienfaches meistens der erste Schritt zum völligen Verschwinden dieses Faches ist. À la longue kann man auch keine Universitätsleitung und auch keinen Kultusminister davon überzeugen, Professoren- und Assistentenstellen für ein Fach zur Verfügung zu stellen, das es als Studienfach nicht mehr gibt. Wenn man sich äußeren Zwängen fügen muss, dann ist das etwas anderes; ich habe aber den Eindruck, dass viele Hochschullehrer unseres eigenen Faches diese Entwicklung eigentlich noch als gut empfunden und gefördert haben.

Hochschulpolitisch ist es auch nicht sinnvoll, sich in großen Instituten für Geowissenschaften mit zunächst relativ vielen Stellen zu vereinigen. Ganz abgesehen davon, dass prognostizierte Synergien häufig in gepflegte Streitigkeiten und blockierende Kompetenzwirren ausarten, wofür es eine Reihe von Musterbeispielen gibt, haben kleinere Organisationseinheiten meistens ein funktionelleres Betriebsklima und vertragen sich auch mit den Nachbarinstituten viel besser. In den sogenannten “life sciences” gibt es auch nicht nur ein Institut für Biowissenschaften, sondern an vielen Universitäten Mitteleuropas Institute für Zoologie, Botanik, Pflanzenphysiologie, Tierphysiologie, Molekularbiologie, Genetik, Biophysik, Biochemie, etc, um nur einige zu nennen. Damit wird eine große Vielfalt und Breite der Biowissenschaften demonstriert. Dies wäre taktisch auch den Geowissenschaften unter Beibehaltung der Institute für Geophysik, Geochemie, Mineralogie, Kristallographie, Petrologie, etc. anzuraten. Wissenschaftliche Zusammenarbeit ergibt sich nur aus gemeinsamen wissenschaftlichen Interessen, und dazu braucht man kein gemeinsames Institut. Diese einzelnen Bioinstitute haben jedes für sich weniger Stellen, aber mehr Studenten als ein großes Institut für Geowissenschaften, und da heute die Wichtigkeit eines Institutes, zwar zu Unrecht, aber doch meistens nur in dem leicht bestimmbaren Parameter Studentenzahlen gemessen wird, kann man sich leicht ausrechnen, in welche Institute längerfristig personelle und finanzielle Ressourcen wandern werden. Ein großes Institut für Geowissenschaften, in dem zusätzlich noch so getan wird, als ob alle mehr oder weniger dasselbe machen und einige Professoren sowie deren Schüler anscheinend alles können, – von der Mikropaläontologie bis zur Strukturbestimmung –, ist dann akut von Kürzungen bedroht mit dem Argument, wofür braucht man für ein Fach bzw. ein Institut so viele Professoren- und Assistentenstellen und so viele finanzielle Ressourcen.

Zu den mineralogischen Fächern zähle man, wie es auch z.B. im Mitgliederverzeichnis der DMG steht, neben der Mineralogie im engeren Sinne die Kristallographie, die Geochemie, die Petrologie, die Lagerstättenkunde und die Technische Mineralogie. Natürlich ist ein vergleichsweise kleines Fach wie die Mineralogie immer in der Situation, von größeren Fächern absorbiert zu werden. Gerade in der heutigen hochschulpolitischen Situation muss ein kleines Fach dauernd seine Existenzberechtigung unter Beweis stellen. Das ist auch gut so, denn dadurch bleibt es lebendig und entwickelt neue Ideen. Wissenschaftspolitik ist zum großen Teil Personalpolitik. Ist eine Professorenstelle erst einmal besetzt, dann bestimmt die entsprechende Person weitgehend die wissenschaftspolitische Entwicklung des Faches, das sie vertritt. Bei den mineralogischen Professorenstellen ist es bei ihrer Besetzung häufig so gewesen, dass einerseits die petrologisch oder geochemisch orientierten Stellen durch Personen besetzt wurden, die ihre Ausbildung als Diplom-Geologen abgeschlossen haben, und dass andererseits die kristallographisch ausgerichteten Professuren durch Wissenschaftler besetzt wurden, die aus der Chemie oder Physik gekommen sind. Als Folge dessen ist oft zu beobachten, dass Petrologen oder Geochemiker sich zur Geologie orientieren, während die Kristallographen am liebsten in die Chemie oder Physik wollen. Die an vielen Standorten erfolgte Aufteilung der naturwissenschaftlichen Fakultäten in Departments oder Fachbereiche machte eine Entscheidung entweder zur Geowissenschaft oder zur Physik bzw. Chemie notwendig. Dabei ist die eigentliche Mineralogie ein wenig “auf der Strecke” geblieben. Wie die Entwicklung gezeigt hat, sind kristallographische Lehrstühle (Abteilungen, Institute), die in die Physik oder Chemie gewechselt sind, im Laufe der Jahre absorbiert worden und stehen weder der Mineralogie noch der Kristallographie mehr zur Verfügung. Das ist sehr schade, denn auch die Geowissenschaften brauchen nach wie vor gute kristallographische Forschung; man denke nur an die exzellenten Erkenntnisse der kristallographischen Hochdruckforschung mit Diamant-Stempelzellen über Phasenzusammensetzung und -umwandlungen im oberen und unteren Mantel. Bei zu starker Anlehnung an die Geologie geraten umgekehrt auch Petrologen und Geochemiker in Gefahr, von der Geologie absorbiert zu werden. So manch eine Stelle aus dem mineralogischen Bereich ist auch nicht mehr so gewidmet, wie es vorher war. Aus einem thermodynamisch und auch experimentell arbeitenden Petrologen ist bei zu starker Anlehnung an die Geologie sehr schnell ein Kristallingeologe geworden.

Die Mineralogie hat sich in den vergangenen 10 Jahren zunehmend zu einem auch materialwissenschaftlich orientierten Fach entwickelt, das nicht ausschließlich mit geowissenschaftlicher Zielsetzung arbeitet.

Einerseits beschäftigt sich die Mineralogie mit dem Mineral als Komponente eines Gesteins oder als potentiellem Rohstoff. Die Lagerstättenforschung (Erze und Industrieminerale) wird auch in Zukunft als wichtiges Teilgebiet der mineralogischen Forschungs- und Lehraktivitäten betrachtet, wobei angewandte Aspekte in zunehmendem Maß Berücksichtigung finden. Im Zeitalter immer knapper werdender Ressourcen wird die Suche nach Rohstoffen und Ersatz-Rohstoffen sowie die Bestandsaufnahme ausgewählter heimischer Rohstoffe, u.a. auch im Hinblick auf ihre Bauwürdigkeit und ihre technische Verwertbarkeit (z.B. Aufbereitbarkeit) besondere Bedeutung zukommen.

Andererseits sind die physikalischen und technischen Eigenschaften eines Minerals zunehmend Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung. Basierend auf detaillierten Kenntnissen der Kristallstruktur und der chemischen Bindung werden die physikalischen Eigenschaften eines bestimmten Minerals durch Austausch einzelner Bauteile gezielt verändert, um Materialien mit gewünschten Eigenschaften herzustellen (crystallographic engineering). Dazu gehören insbesondere Keramiken unterschiedlicher Art (Silikat- und Oxidkeramik, Elektro- und Magnetkeramik, Hartstoffe, Biokeramik, Feuerfestmaterialien, etc.), Hochtemperatur-Supraleiter (Perowskite), Ferrite (Granate, Spinelle), Halbleiter, Zeolithe, Zementminerale (CSH-Phasen), Gläser, etc. Die Vorteile der Mineralogie liegen dabei in der genauen Materialkenntnis sowie dem Beherrschen der Synthesebedingungen besonders bei hohen Drucken und Temperaturen, wie sie beispielsweise im Erdinnern herrschen. Die Entdeckung neuer Materialien war zunächst nur ein Nebenprodukt geowissenschaftlich orientierter Forschung. Es war aber nur folgerichtig, dass sich daraus ein Hauptarbeitsgebiet mineralogischer Forschung entwickelte. Internationale Anerkennung fand diese Arbeitsrichtung der Mineralogie im Jahre 1987 mit der Verleihung des Nobelpreises für Physik an den Diplom-Mineralogen Bednorz am IBM-Forschungslabor in Zürich.

Die Mineralogie spielt auch eine zunehmende Rolle in der Umweltforschung. Mineralogen beschäftigen sich in Industrie- und Forschungslabors mit Schadstoffen (z.B. radioaktive Substanzen) und deren Fixierung in Festkörpern, Recycling, Baustoffkorrosion, Denkmalpflege, geochemische Kreisläufe toxischer Substanzen, Schadstoffe in Kraftwerken und Müllverbrennungsanlagen, Deponiebau, etc. Auf dem Gebiet der Biomineralisation haben sich Kooperationen mit der Medizin und den Biowissenschaften entwickelt.

Von einer rein geowisenschaftlichen Zielsetzung der Mineralogie ist unter den oben erwähnten Aspekten im Bereich der Angewandten Mineralogie wie auch in der Kristallographie nicht mehr zu sprechen. Man muss auch dem Umstand Rechnung tragen, dass die meisten Absolventen unseres Faches später eine Anstellung außerhalb der Universitäten finden müssen. Wie die vom Kollegen Fischer (Bremen) aufgestellte Statistik* zeigt, arbeiten die meisten unserer Absolventen in Industriezweigen, wie z.B. Steine und Erden, Umweltmineralogie und Umweltschutz, Chemische Industrie, Keramik, Apparate- und Anlagenbau, Ing.-Büros, Elektroindustrie, Feuerfestindustrie, EDV, Hüttenindustrie, Energietechnik, Edelsteine, etc. Dies muss man auch bei wissenschaftspolitischen Entscheidungen in Lehre und Forschung berücksichtigen. Sonst brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir keinen Nachwuchs an Studenten haben.

Was tun in der Zukunft? Als interdisziplinäre Fächer waren Mineralogie und Kristallographie in den alten naturwissenschaftlichen Fakultäten besser aufgehoben. Aus taktischen und wissenschaftspolitischen Gründen plädiere ich für ein stärkeres Zusammengehen der Mineralogie und der Kristallographie mit der Geophysik in Departments für Geowissenschaften. Dies ist nicht die ideale Lösung, aber der “Appetit” der Chemie und Physik scheint mir noch größer zu sein. Auf alle Fälle ist es wichtig, die eigene Selbständigkeit der mineralogischen Fächer organisatorisch und fachlich aufrecht zu halten. Das hat mit Kleinstaaterei nichts zu tun, sondern es geht um Bewahrung der fachspezifischen, mineralogischen Inhalte in Forschung und Lehre. Mit den geologischen Gesellschaften eine gemeinsame Gesellschaft zu bilden, wäre, nach den oben vorgebrachten Argumenten, ein Schritt in die falsche Richtung. Sogar die sonst so als Vorbild gerne hergenommenen Amerikaner und Briten haben gut funktionierende Mineralogische Gesellschaften. Zusammenarbeit und gemeinsame Interessenvertretung durch einen Dachverband der Gesellschaften der festen Erde, dem auch die DMG angehört, wäre sicher gut. Aber dafür haben wir doch schon die Alfred-Wegener-Stiftung.

Glück auf!

Georg Amthauer, Salzburg

Georg.Amthauer@mh.sbg.ac.at

*) R. X. Fischer: Datenerhebung zum Studiengang Mineralogie an 30 deutschen Universitäten. DMG-Mitteilungen Nr. 78, Januar 2000, S. 17 – 23.

Und: http://www.palmod.uni-bremen.de/FB5/kristall/umfrage/minstk.htm