Liebe DMG-Mitglieder,

zu Beginn meiner Amtsperiode als DMG-Vorsitzender möchte ich Ihnen einige Gedanken zur aktuellen Situation der Mineralogie im Speziellen und der Geowissenschaften im Allgemeinen vorstellen. Zumindest für die an Universitäten und Landesämtern beschäftigten Mitglieder unserer Gesellschaft gilt: fast wöchentlich werden wir mit neuen Budget-Kürzungen und Stellenstreichungen konfrontiert. Unter den Geowissenschaften ist die Mineralogie leider aufgrund ihrer geringen Studentenzahlen besonders angreifbar, da Qualität und Berufsperspektiven erst in zweiter Linie von Universitätsleitungen in Betracht gezogen werden, wenn es darum geht, „schwache“ Bereiche und „überflüssige“ Fächer zu definieren. Dass zur Zeit die Studentenzahlen wieder angestiegen sind oder sogar noch ansteigen, hilft dabei wenig, denn Berechnungsgrundlage sind die vergangenen, „mageren“ Jahre.

Andererseits stellt man ein nach wie vor ungebrochenes Interesse der „anonymen Öffentlichkeit“ an mineralogischen Themen fest, sei es an der Archäometallurgie, der Entstehung des Mondes oder der Bildung von Erzlagerstätten. Diese Beobachtung gilt für die Geowissenschaften im Allgemeinen: Ihre Themen werden als wichtig (z.B. Klimaveränderung, Rohstoffverknappung) oder interessant (z.B. Marserkundung, Dinosaurier) wahrgenommen, jedoch nicht automatisch mit unseren Fächern assoziiert, sondern anderen Fachgebieten wie der Atmosphärenchemie, der Biologie oder den Materialwissenschaften zugerechnet. Kurz: Wir haben ein Image-Problem. Der vermutlich deutlichste und für uns langfristig gefährlichste Beleg für dieses Image-Problem ist, dass die Geowissenschaften in den großen Hochschulrankings vom CHE und von FOCUS gar nicht berücksichtigt wurden.

Es ist zwar aus unserer sehr engen Sicht als Mineralogen tröstlich, dass dieses Image-Problem nicht nur die Mineralogie, sondern auch die Geologie, Paläontologie und Geophysik betrifft, doch hilft das gar nichts, denn im Endeffekt sitzen wir in einem Boot. Dass viele dies schon erkannt haben, zeigt sich an den Institutsfusionen, den gemeinsamen geowissenschaftlichen Studiengängen und der Stärkung der Geounion (Alfred-Wegener-Stiftung) in den letzten Jahren, doch mein Gefühl ist, dass es nach wie vor die Trennung in die Einzeldisziplinen in den Köpfen gibt, und zwar sowohl bei den anderen wie auch bei uns.

Nun sind wir als „Mineralogen-Club“ natürlich die letzten, die dies beklagen dürften, denn unsere Institution ist ja gerade darauf gegründet, sich um die Belange der Mineralogen im Unterschied zu anderen Geowissenschaften zu kümmern, ist also eine Manifestation der Kleinstaaterei unserer Fachgebiete. Bedenken Sie, dass es Gesellschaften für Kristallographie, für Geologie, für Geophysik, für Paläontologie und sogar eine eigene für Tonmineralogie gibt! Käme es einem Physiker in den Sinn, einer Gesellschaft für Quantenmechanik beizutreten? Oder kennen Sie einen Chemiker, der Mitglied einer Gesellschaft für Anorganische Chemie ist? Nur wir Geowissenschaften leisten uns den Luxus „versprengter Splittergruppen“, was noch kein Problem darstellen muss, wenn diese in Fragen übergeordneter Bedeutung koordiniert an einem Strang zögen. Leider ist dies aber häufig nicht der Fall, die verschiedenen geowissenschaftlichen Gesellschaften arbeiten z.T. auffällig gegeneinander. Gerade zur Zeit stellt man fest, dass wir mit dieser Taktik in fatale Sparfallen von Universitätsleitungen laufen, denn als kleine, in sich uneinige Fachvertreter haben wir keine Chance, Gehör zu finden. Wird an irgendeiner Universität die Physik, die Chemie oder die Biologie in Frage gestellt? Zumindest bisher ist mir dies nicht bekannt, doch die Geowissenschaften mussten die komplette Schließung in Stuttgart und Würzburg, Marburg und Gießen verkraften, an vielen Standorten wurden Schließungen diskutiert oder auch teilweise umgesetzt.

Liegt das alles nur an den bösen Anderen, die einfach nicht verstehen wollen, wie großartig wir sind? Oder sollten wir selbstkritisch genug sein zu fragen, wo wir selbst organisatorische Defizite haben? Liegt es nur daran, dass wir in den Schulen zu wenig vertreten sind? Kann nicht sein, denn kein Mensch hat Jura oder Medizin in der Schule, und diese Fächer werden überrannt von Studenten. Sind wir von vornherein zum Nischendasein verdammt, weil es keinen klaren Arbeitsmarkt für uns gibt? Dagegen frage ich Sie: Wo ist denn der definierte Arbeitsmarkt für einen promovierten Physiker?

Sind wir an der Schnittstelle verschiedenster Wissenschaftsdisziplinen angesiedelt und zerfallen daher automatisch in die eher physikalischen, eher chemischen oder eher biologischen Fächer? Hier könnte des Pudels Kern begraben liegen, denn wir haben über die assoziative Verknüpfung von Geowissenschaften und Geographie auch noch mit dem in diesem Zusammenhang nicht hilfreichen Verdacht zu leben, wir seien vielleicht gar keine „echte“ Naturwissenschaft, sondern ein Gemenge von Nutznießern und Anbiederern, die naturwissenschaftliche Methoden nutzen, um bestenfalls ebenso naturwissenschaftliche, aber unter anderem auch sozialwissenschaftliche Fragestellungen zu bearbeiten. Obwohl man nun vermuten könnte, dass uns dies bei der Suche nach öffentlicher Akzeptanz eine Hilfe sei, ist offenbar das Gegenteil der Fall. Weder können wir diesen Kredit in Anspruch nehmen, noch ist der Hinweis auf reine Grundlagenforschung hilfreich, obwohl die Akzeptanz für Grundlagenforschung generell erstaunlich groß ist. Umfragen in Großbritannien ergaben, dass weit über 50% der (nicht-wissenschaftlichen) Bürger sehr wohl „nutzfreie“ Grundlagenforschung für förderungswürdig halten.

Was ist nun meine Lehre aus dem Vorgesagten? Ich stelle fest, dass wir trotz interessanter Themen nicht die entsprechende Anerkennung (soll heißen: Sicherheit bei Sparrunden) bekommen wie die anderen Naturwissenschaften. Zumindest einer der Gründe – und aus meiner Sicht der wichtigste – scheint unsere Uneinigkeit und Zersplitterung selbst innerhalb der rein naturwissenschaftlichen Geo-Disziplinen zu sein. Daher halte ich es für dringend geboten, diese Zersplitterung sukzessive zu beenden, und zwar auf unterschiedlichsten Ebenen.

Zum Abschluss möchte ich noch ein weiteres Thema kurz anschneiden, das mir durchaus brisant erscheint. Vermutlich haben viele von Ihnen Mitte Oktober den Artikel im FOCUS gelesen, in dem berichtet wurde, das Senckenberg-Museum in Frankfurt habe unwiederbringliche Sammlungsstufen verramscht. Dieser Bericht hat natürlich insbesondere im „Arbeitskreis Mineralogische Museen und Sammlungen“ der DMG, daneben aber auch in der Senckenberg-Gesellschaft selbst für helles Entsetzen gesorgt. Ich habe daraufhin mit Herrn Steininger, dem Direktor des Museums, und dem zuständigen Kustos, Herrn Plodowski (der Paläontologe ist) korrespondiert bzw. telefoniert, und habe als Gast an der Mitglieder-Versammlung der Senckenberg-Gesellschaft in Frankfurt am 19.11.04 teilgenommen, um auch die Gegenseite zu hören. Es ist offensichtlich, dass das Museum ohne böse Absicht gehandelt hat und gute Gründe für einen Verkauf von Duplikaten hatte. Leider zog man aber keine anderen Museen zu Rate und verließ sich ganz auf den Rat einer einzigen Person, die zwar in Mineralogie promoviert hat, aber kein Kustos ist. Dadurch ist es jetzt sehr schwer nachzuvollziehen, welche Stücke welcher Qualität zu welchen Preisen tatsächlich wie den Besitzer gewechselt haben. Als Folge dieses Verfahrens droht ein Imageverlust deutscher Museen bei potenziellen Mäzenen. Daher wird eine unabhängige Kommission unter Beteiligung von Mineralogen den gesamten Vorgang untersuchen und dem Präsidenten der Senckenberg-Gesellschaft berichten. Dies scheint mir eine angemessene Maßnahme zu sein, um verlorenes Vertrauen wieder herzustellen. Aus meiner Sicht muss man auf jeden Fall schon jetzt feststellen: Sammlungen ohne gut informierte Kustoden (und dies ist bei Senckenberg der Fall, es gibt seit langem keinen Kustos für Mineralogie mehr) laufen leichter Gefahr, auf lange Sicht einmal auseinander gerissen zu werden. Dies sollte man im Hinblick auf eine mögliche Debatte über die Konzentration einzelner Spezialsammlungen an dafür besonders geeigneten und ausgestatteten Museen mit darauf spezialisierten Kustoden im Hinterkopf behalten.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Gregor Markl
Vorsitzender